Vorsitzende der Gewerkschaft LRSU der Beschäftigten des Freizeit- und Kasino-Komplexes Naga World in Phnom Penh (LRSU = Labour Rights Supported Union of Khmer Employees)
„Wir müssen uns mehr denn je zusammentun, um unsere Rechte auf lokaler und internationaler Ebene zu verteidigen“
Was ist der Hintergrund des Naga-World-Streiks, welche Rolle hattest Du dabei? Wie ist die Situation bei Naga World heute?
Im Jahr 2021 nutzte Naga World die COVID-19-Krise als Vorwand, um mehr als 1.300 Beschäftigte zu entlassen, nur weil das Unternehmen weniger Gewinn machte als vor der COVID-19-Krise. Laut der Finanzberichte für die Börse in Hongkong hat Naga World im Jahr 2021 einen Nettogewinn von mehr als 100 Millionen Dollar erzielt. Wir haben auch herausgefunden, dass die Entlassungen vor allem gegen die Gewerkschaft gerichtet waren, und zwar auf sehr unmenschliche Weise. Etwa 1.100 Gewerkschaftsmitglieder und gewählte Gewerkschaftsführer standen auf der Entlassungsliste. Schwangere Frauen, Geschwister und Ehepartner wurden zur selben Zeit entlassen, als Kambodscha in einer Krise steckte und die Menschen Arbeit brauchten. Wir haben auch herausgefunden, dass die Abfindungen, die den entlassenen Arbeitnehmern gezahlt wurden, nicht korrekt waren. Gemessen an den kambodschanischen Arbeitsgesetze waren sie um bis zu 40 % zu niedrig. All dies sind Gründe, warum die Gewerkschaft diesen Entlassungsplan strikt ablehnte und warum die Arbeiter beschlossen, im Dezember 2021 in den Streik zu treten, was nun schon 3 Jahre her ist.
Als Gewerkschaftsführerin war ich aktiv daran beteiligt, die Arbeitnehmer bei den Verhandlungen zu vertreten, den Fall dem Arbeitsministerium vorzulegen und den Streik vor dem Unternehmen zu führen. Während der jetzt drei Jahre ohne Gewerkschaft am Arbeitsplatz haben unsere Mitglieder zahlreiche Unterdrückungsmaßnahmen durch das Unternehmen erlebt. Sie wurden gezwungen, neue Verträge zu unterzeichnen, die sie daran hindern, ihr Recht auf gewerkschaftliche Organisierung wahrzunehmen. Es wurde ihnen nicht erlaubt, mit der Gewerkschaft in Verbindung zu treten, einschließlich der Teilnahme an Gewerkschaftssitzungen und der Weitergabe von Informationen über Gewerkschaftsaktivitäten in den sozialen Medien. Sie wurden gezwungen, aus der Gewerkschaft auszutreten, damit unsere Ressourcen für die Interessenvertretung vermindert werden.
Während sich Naga World weigert, die Gewerkschaftsführer und -mitglieder von LRSU wieder einzustellen, rekrutiert das Unternehmen jeden Tag neue Beschäftigte (mit Hilfe von Kurzzeitverträgen) und gründet innerhalb des Unternehmens eine eigene gelbe Gewerkschaft. (In Kambodscha „Instant-Nudel-Gewerkschaft“ genannt, die Unternehmer, die Beschäftigten, die gegen die Gewerkschaft sind, und das Arbeitsministerium umfasst). Ihre Aufgabe ist es, die ArbeiterInnen einzuschüchtern, nicht der LRSU beizutreten und die LRSU zu verlassen, wenn sie unsere Mitglieder sind. Sie schicken jede Drohbotschaft des Arbeitgebers an die ArbeiterInnen und melden dem Unternehmen alle ArbeiterInnen, die mit der LRSU Kontakt aufnehmen oder über Arbeitsfragen diskutieren.
Was waren die Gründe für deine Inhaftierung und deine Erfahrungen im Gefängnis?
Nachdem die Gewerkschaft 2019 einen Streik für existenzsichernde Löhne gewonnen hatte, traten viele Beschäftigte der Gewerkschaft bei, und wir erreichten damals fast 5.000 Mitglieder. Diese Zahl wurde für das Unternehmen und vor allem für die Regierung zu einem Problem, weil wir die größte lokale Gewerkschaft und sowohl finanziell als auch in der Entscheidungsfindung unabhängig sind. Wir haben uns auch sehr aktiv für eine Änderung der Gesetze eingesetzt, die die Rechte der Arbeitnehmer untergraben. Wir beschlossen, uns gegen das Unternehmen zu wehren, das die unabhängige und starke Gewerkschaft loswerden wollte, um andere ArbeiterInnen daran zu hindern, der Gewerkschaft beizutreten und ihre Rechte am Arbeitsplatz zu verteidigen. Deshalb haben sie mich verhaftet und nach dem Strafrecht eingesperrt, obwohl das Strafrecht nichts mit dem Recht auf einen legalen Streik zu tun hat, den ich geführt habe.
Ich wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt und mit Kriminellen in dieselbe Zelle gesteckt. In der Zelle sind etwa 60 Personen untergebracht und es gibt nur einen Waschraum. Ich musste meine eigenen Lebensmittel kaufen, die zwei- bis dreimal so teuer sind wie die Marktpreise, denn das Gefängnisessen war schrecklich. Es gab keine (Corona-)Tests, keine Hygiene und überhaupt keine Proteine. Meine Familie durfte mich zweimal pro Woche besuchen, aber ich durfte nur über das Alltagsleben meiner Familie sprechen. Über Gewerkschaftsfragen und Streiks durfte ich überhaupt nicht sprechen. Am Tag meiner Entlassung, dem 16. September 2024, war ich gezwungen, das Gefängnis um 4 Uhr morgens zu verlassen, weil viele unserer Mitglieder, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen eine Kundgebung vor dem Gefängnis geplant hatten.
Wie ist die Situation der Gewerkschaften in Kambodscha und wie können wir ihren Kampf unterstützen?
Nach dem Generalstreik der Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie im Jahr 2014 hat die kambodschanische Regierung zahlreiche Gesetze erlassen, um die Gewerkschaften, die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien zu untergraben. Die Gewerkschaftsgesetze und das 2016 verabschiedete Mindestlohngesetz waren sehr effektive Instrumente zur Schwächung der Gewerkschaften, angefangen bei der Registrierung. Für unabhängige Gewerkschaften, die sich wirklich für die Arbeitnehmer einsetzen, ist es fast unmöglich, die Registrierung zu erhalten. Wir, die LRSU, haben zwei Jahre gebraucht, um unsere Gewerkschaft registrieren zu lassen. Nach der Registrierung der Gewerkschaft gibt es keinen Schutz vor Diskriminierung durch den Arbeitgeber, wie z.B. die Entlassung von gewählten Gewerkschaftsführern. LRSU ist eines von vielen Beispielen für Verstöße. Seit drei Jahren hat das Unternehmen nie eine Genehmigung des Arbeitsministeriums für die Entlassung gewählter Gewerkschaftsführer eingeholt, wie es das Arbeitsrecht vorschreibt, und auch die Regierung hat keine Maßnahmen gegen das Unternehmen ergriffen. Das Recht auf Tarifverhandlungen wird ebenfalls durch die Gewerkschaftsgesetze untergraben, die vorschreiben, dass die Gewerkschaft zuerst den Status des repräsentativsten Vertreters erreichen muss, was bedeutet, dass mindestens 50 %+1 der Arbeitnehmer der Gewerkschaft beitreten müssen, bevor die Gewerkschaft über die Löhne der Arbeitnehmer im Betrieb verhandeln kann.
In Bezug auf die Mindestlohngesetze ist es den Gewerkschaften nicht gestattet, ihre eigenen Untersuchungen durchzuführen, um besser für eine Lohnerhöhung eintreten zu können, es sei denn, das Arbeitsministerium billigt die Ergebnisse der Untersuchungen. Andernfalls wird die Gewerkschaft strafrechtlich belangt, selbst wenn sie nur ihre Untersuchungen über die Höhe des Mindestlohns veröffentlicht, die nach Ansicht der Gewerkschaften erforderlich ist, damit die Arbeitnehmer in Würde leben können.
Das Streikrecht wurde unter starke Kontrolle genommen und eingeschränkt, wobei die Gewerkschaft viele Auflagen erfüllen muss und die Gerichtsverfahren oft längere Zeit in Anspruch nehmen.
Doch selbst wenn die Gewerkschaft alle Anforderungen für einen Streik erfüllt, sehen sich die Gewerkschaften, insbesondere die Gewerkschaftsführer, immer noch juristischer Unterdrückung ausgesetzt. Sie werden angeklagt und strafrechtlich verurteilt, und das Unternehmen wird immer eine gerichtliche Unterlassungsverfügung erlassen, wenn es darum geht, die Arbeitnehmer von der Teilnahme an Streiks abzuhalten und sie zu zwingen, wieder an die Arbeit zu gehen. Die Arbeitnehmer laufen sonst Gefahr, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, weil das Gericht einen Streik für illegal erklärt hat. Naga World hat von 2013 bis 2021 dreimal eine gerichtliche Unterlassungsverfügung erwirkt, um die Beschäftigten an der Teilnahme an Streiks zu hindern, wann immer die Gewerkschaft sich zu Streiks entschloss. Und im Jahr 2022 wurde ich zu zwei Jahren Haft nach dem Strafgesetzbuch verurteilt, wegen Anstiftung zur Störung der öffentlichen Ordnung, nachdem ich einen Streik gegen Naga World angeführt hatte. Danach wurde unser Fall als Instrument benutzt, um andere Gewerkschaften und Arbeitnehmer davon abzuhalten, sich zu organisieren und Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Rechte am Arbeitsplatz zu ergreifen. Einige Gewerkschaften, die früher unabhängig waren und sich für die Arbeitnehmer einsetzten, sind verstummt, können keine neue Gewerkschaft gründen und einige sind gezwungen, sich regierungsfreundlichen Gewerkschaften anzuschließen. Sie sind gezwungen, sich zwischen einer unabhängigen Gewerkschaft und einer Gefängnisstrafe zu entscheiden, so wie ich.
Auch wenn unsere Gewerkschaft LRSU, ich selbst und andere wichtige Führungspersönlichkeiten mit Kriminalisierung, Gefängnis, Überwachung und Einkommensverlusten für drei Jahre konfrontiert sind, weigern wir uns, aufzugeben. Wir tun das, indem wir die gesetzliche Unterdrückung und die Einschränkungen ignorieren und streiken, um unsere Rechte auf Tarifverhandlungen zu verteidigen, um existenzsichernde Löhne zu fordern. So konnten wir die Löhne 2019 um bis zu 33 Prozent erhöhen und 5.000 Gewerkschaftsmitglieder gewinnen. Wir konnten 100 Prozent Lohn für unsere weiblichen Mitglieder während ihres 90-tägigen Mutterschaftsurlaubs durchsetzen, obwohl das Arbeitsrecht vorsieht, dass der Arbeitgeber nur 50 Prozent des Lohns zahlen muss, wenn weibliche Beschäftigte im Mutterschaftsurlaub sind. 2015 erreichten wir besseres Essen in der Betriebskantine, sichere Transportmöglichkeiten für Beschäftigte nach der Arbeit in der Nacht und Verbesserung vieler schlechter Arbeitsbedingungen.
Wenn wir also diese Kämpfe gewinnen, wird dies eine sehr positive Botschaft an die Arbeitnehmer senden und ihnen Hoffnung geben, dass man uns unsere Rechte niemals nehmen kann, wenn wir sie weiterhin verteidigen. Und mit der Unterstützung von Arbeitnehmern in aller Welt werden wir eines Tages gewinnen. Im Moment sind finanzielle Unterstützung mit jedem Betrag, mit dem Ihr helfen könnt, sehr wichtig, um den Erfolg unseres Kampfes sicherzustellen. Und internationale kollektive Aktionen von Gewerkschaften auf der ganzen Welt, wo Ihr mehr Freiraum habt als wir, um unseren Kampf bekannt zu machen.
Internationale Solidarität der Arbeitnehmer – was bedeutet sie für Euch? Wie können wir sie gemeinsam stärken?
Die internationale Solidarität der Arbeitnehmer ist äußerst wichtig, um Gewerkschaften wie uns und andere Gewerkschaften auf der ganzen Welt zu unterstützen. Die Gewerkschaften sind mit zahlreichen Unterdrückungsmaßnahmen konfrontiert, während die Bosse sehr eng mit der Regierung zusammenarbeiten. Sie wollen die Arbeitnehmerrechte beseitigen, damit sie die Arbeitnehmer ohne jede Konsequenzen ausbeuten können. Wir, die ArbeiterInnen, müssen uns also mehr denn je zusammentun, um unsere Rechte auf lokaler und internationaler Ebene zu verteidigen, indem wir uns mit anderen Gewerkschaften außerhalb unseres Landes vernetzen. Wenn möglich auch durch die Bereitstellung von Ressourcen, einschließlich finanzieller Mittel, um andere unabhängige Gewerkschaften zu unterstützen, die in ihren Betrieben bedroht sind. Setzt Euch bei der Regierung Eures Heimatlandes ein oder macht zumindest auf die Verletzung von Arbeitnehmerrechten in Ländern wie unserem aufmerksam, wenn die Bosse planen, dort zu produzieren oder zu investieren.
(Fragen und Übersetzung U. Breitbach)