Von Mathias John (Themenkogruppe Wirtschaft und Menschenrechte)

Amnesty International fordert von den Staaten seit langem, verbindliche menschenrechtliche Regeln für Unternehmen zu verankern. Als eine Grundlage gilt auch hier die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die nicht nur von Staaten Schutz und Verwirklichung der Menschenrechte erwartet, sondern auch „alle Organe der Gesellschaft“ und damit auch wirtschaftliche Akteure auffordert, diese Rechte zu achten. Die internationale Diskussion auf Ebene der Vereinten Nationen, Unternehmen auf Menschenrechte zu verpflichten, begann bereits in den 1970er Jahren und setzte sich Anfang der 2000er Jahre fort, allerdings mit wenig Erfolg. Es gelang der Wirtschaft immer wieder, vor allem auch unter Verweis auf freiwillige Maßnahmen Verbindlichkeit zu verhindern.

Spätestens aber seit der Verabschiedung der „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ 2011 durch den UN-Menschenrechtsrat gibt es eine international akzeptierte Grundlage dafür, welche menschenrechtliche Verantwortung Unternehmen tragen. Allerdings stehen in den „Leitprinzipien“ weiterhin die Staaten im Vordergrund, die primär die Pflicht haben, alle Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. 

Zusätzlich wird aber die Verpflichtung der Wirtschaft festgestellt, alle Menschenrechte zu respektieren und dafür geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Definiert werden dazu menschenrechtliche Sorgfaltspflichten (human rights due diligence) für Unternehmen, die über die üblichen „kaufmännischen“ Sorgfaltspflichten hinaus Unternehmen verpflichten, menschenrechtliche Risiken im Rahmen ihrer Aktivitäten entlang ihrer Wertschöpfungsketten (angefangen bei den Rohstoffen bis hin zum Vertrieb) zu erfassen und mögliche Übergriffe zu verhindern. Die Staaten haben dabei im Rahmen ihrer Pflichten auch die Aufgabe, Standards für diese Aufgaben von Unternehmen vorzugeben. 

Und als dritte Säule wird verankert, dass Betroffene von Übergriffen im Rahmen von Unternehmensaktivitäten Zugang zu Rechtsmitteln und oder außergerichtlichen Verfahren erhalten müssen, die auch Kompensationen für erlittene Schäden umfassen sollen. 

Auch wenn die „Leitprinzipien“ kein verbindliches Völkerrecht sind, sind sie als „soft law“ mittlerweile die wichtigste Grundlage für nationale Aktionspläne und Gesetze und überregionale Regelungen. Damit wurde eine erfreuliche Dynamik angestoßen, was dann beispielsweise dazu geführt hat, 

  • dass die OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen Sorgfaltspflichten umfassend definieren,
  • dass Frankreich und die Niederlande Lieferkettengesetze eingeführt haben 
  • und dass 2021 das das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verabschiedet wurde.

Im Rahmen dieser Entwicklung hat dann die Europäische Kommission 2022 den ersten Entwurf für ein EU-“Lieferkettengesetz“ vorgelegt – die EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie oder Sorgfaltspflichtenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive – CSDDD). Dieser Entwurf wurde dann im EU-Parlament Mitte 2023 mit einigen Verbesserungen verabschiedet. Erfreulicherweise gab es in dem CSDDD-Entwurf einige Punkte, die Verbesserungen gegenüber dem deutschen LkSG gebracht hätten, so beispielsweise Anwendung für mehr Firmen, Einführung von Haftpflichtregelungen und weitere Anwendung entlang der Wertschöpfungsketten. 

Es folgte die gemeinsame Behandlung durch EU-Parlament, Rat der Europäischen Union (also Regierungen der EU-Staaten) und EU-Kommission – der so genannte Trilog. Im Dezember 2023 gab es dann eine abschließend abgestimmte einvernehmliche Fassung der CSDDD zwischen EU-Parlament und EU-Rat. 

Im üblichen Verfahren der EU-Organe wäre die abschließende Zustimmung des Rats und des Parlaments nach möglichen redaktionellen Anpassungen nur noch eine reine Formalität gewesen …. wenn dann nicht auf Initiative der FDP ein schlechter Politkrimi begonnen hätte. Auch wenn die FDP-Minister in der Bundesregierung in den Verhandlungsprozess einbezogen waren, starteten sie nun den Versuch, die CSDDD doch noch zu stoppen, indem sie ihre Zustimmung in der Bundesregierung verweigerten und so eine deutsche Enthaltung im EU-Rat erzwingen wollten. Sie machten sich dabei auch die Kritik der großen deutschen Wirtschaftsverbände zu eigen, die sich wie so häufig von einem zusätzlichen Bürokratiemonster bedroht sehen. Leider haben die anderen Parteien in der Koalition keine nachdrücklichen Schritte unternommen, die FDP von ihrer Obstruktion abzubringen, so hat der Kanzler auch hier auf seine Richtlinienkompetenz verzichtet. Es ist bedauerlich, dass so einmal mehr die Glaubwürdigkeit der deutschen Regierung in der EU gelitten hat. Besonders bitter ist aber, dass dadurch beinahe eins der wichtigsten menschenrechtlichen Projekte der letzten Jahre gescheitert wäre!

Die belgische Ratspräsidentschaft hat dann doch noch alles versucht, die CSDDD zu retten. Am Ende ist das gelungen, wenn auch um den Preis etlicher Abschwächungen: Der EU-Rat hat dem Entwurf des EU-„Lieferkettengesetzes“ am 15. März 2024 dann doch zugestimmt. 

Am Ende war es kein ganz schlechter Tag für die Menschenrechte! Jetzt wird es eine EU-weite gemeinsame Basis geben, Unternehmen endlich auf menschenrechtliche sowie umwelt- und klimabezogene Sorgfaltspflichten entlang ihrer Wertschöpfungsketten zu verpflichten. Die Abschwächungen sind allerdings ärgerlich: Die Richtlinie wird jetzt für noch weniger Unternehmen in der EU gelten, es gibt eine lange Übergangsfrist bis zur Anwendung und Teile der Wertschöpfungskette (sogenannte nachgelagerte Lieferkette – Seite des Vertriebs) bleiben unberücksichtigt. Aber immerhin enthält die Richtlinie einige Verbesserungen gegenüber dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, beispielsweise bei den Haftungsregelungen!

Jetzt (Stand Anfang April 2024) steht noch die abschließende Abstimmung im Europäischen Parlament aus, die hoffentlich ohne weitere Verzögerungen dazu führen wird, dass die CSDDD dann noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten kann.

Erfreulich ist vor allem, dass menschenrechtliche sowie umwelt- und klimabezogene Sorgfaltspflichten wie auch die Berichterstattung über deren Umsetzung zunehmend auch Bestandteil anderer Regelungen und Instrumente auf EU-Ebene werden. Beispiele dafür sind die neuen Vorgaben für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, das Gesetz über kritische Rohstoffe, die Batterieverordnung, die Verordnung über Entwaldungfreie Lieferketten oder auch die Verordnung über ein Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten. Es bleibt zu hoffen, dass mit dieser Entwicklung die Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen zu einer Selbstverständlichkeit wird! Letztlich sollte es aber im Sinne einheitlicher Spielregeln für das globale Spielfeld der doch umfassend transnational aufgestellten Wirtschaft einen verbindlichen globalen Vertrag geben. Dafür gibt es zurzeit auch auf Basis der Beschlüsse des UN-Menschenrechtsrats im Zusammenhang mit den Leitprinzipien den Prozess zur Ausarbeitung eines entsprechenden Vertrags – des UN Treaty on Business and Human Rights.