Step by Step – 2012

13.08.2012 | Step 1 im BiZ Sprockhövel: „Wirkungsvolle Interessenvertretung jugendlicher Arbeitnehmer/innen im Prozess der Europäischen Integration“ – unter diesem Titel startete im Februar 2012 bereits zum siebten Mal die Seminarreihe Europa Step by Step. 15 Teilnehmende aus ganz Deutschland – von der IG Metall Jugend, aber auch von der ver.di, der IG BAU, der NGG und der GEW – trafen sich im Bildungszentrum Sprockhövel, um sich und Europa besser kennenzulernen. Mit der Erarbeitung gemeinsamer Vorstellungen und Erwartungen zum Thema sowie dem Einstieg in die Geschichte und unterschiedliche Blickwinkeln auf das politische Gebilde Europa, begann an diesem  Wochenende die gemeinsame Reise. Die (gewerkschafts-) politische Europa-Reise in vier Schritten dauerte über ein halbes Jahr.

Step 2 in Brüssel: Ende März 2012 in Brüssel lernten die Teilnehmenden die Institutionen der EU und die Arbeit der Gewerkschaften auf europäischer Ebene kennen. Zum prall gefüllten Programm in Europas Zentrum gehörten Treffen mit Wolf Jäcklein vom Europäischen Metallarbeiterbund EMB – mittlerweile IndustriALL Europe – und Jean-Claude Le Douaron vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut ETUI im Trade Union Haus. Zusammen mit Udo Bullmann, deutscher SPD- Abgeordneter im Europäischen Parlament besichtigten die Teilnehmenden das Parlamentsgebäude.
Bei dem Besuch beim EWSA (Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss) trafen die Teilnehmenden auf Gabriele Bischoff und Claus Matecki, DGB, beide Delegierte der Gruppe der Arbeitnehmer. Der Präsident der Gruppe der Arbeitnehmer, Georgios Dassis, lud zum gemeinsamen Mittagessen ein. Das Programm in Brüssel wurde abgerundet durch einen politischen Stadtrundgang mit Dirk Lagast – Mitarbeiter beim Flämischen Gemeinschaftsrat in Brüssel – und einer Werksbesichtigung bei DAF Trucks. Dort gab es auch ein Treffen mit aktiven Gewerkschaftern im Betrieb.


Step 3 am Schliersee: 
Der dritte Schritt der (gewerkschafts-) politischen Europa-Reise führte die Teilnehmenden Ende April an den Schliersee. Ein Ziel des Seminares dort, war unterschiedliche europäische Gewerkschaftsmodelle kennenzulernen. Die Teilnehmenden spielten ein Planspiel zur Europäischen Betriebsratsarbeit und setzten sich ernsthaft mit der Euro-Krise auseinander.

Eine Nacht in Bayern war besonders lang: Die Seminarteilnehmenden streikten mit beim
Warnstreik-Auftakt in der Nacht von Samstag (29.04.) auf Sonntag in München um 24:00 Uhr bei der Firma TDK – Ex-EPCOS. Sie unterstützten dabei Kollegen/innen von BMW, MAN, Siemens und dem OJA München. Das Video zum Streikauftakt gibt es hier.


Step 4 in Manchester/Tolpuddle: 
Für den letzten Schritt der Reise im Juli verließen die Teilnehmenden das europäische Festland. Auf der Hinfahrt ging es in einer Nachtfahrt mit der Fähre über Rotterdam nach Hull. Das Programm in England startete mit einer Stadtführung durch Manchester. Dabei wurde die Industriegeschichte der Stadt mit Marx und Engels in Manchester thematisiert, aber kulturelle Highlights wie die Beatles oder die Sex Pistols  nicht vergessen. Ein Thema des Seminars war die Geschichte der britischen Gewerkschaften und die Entstehung des Manchester Kapitalismus. Die Teilnehmenden setzten sich auch mit aktuellen Problemen und Herausforderungen in GB – De-Industrialisierung der 80er-Jahre, starke Ausrichtung auf die Finanzindustrie, starke Klassenauseinandersetzungen – auseinander.

Zur Reise gehörte ein Treffen mit Alan Manning vom Trade Union Congress TUC, dem englischen DGB, mit einer Einführung in das britische Gewerkschaftssystem sowie ein
Besuch von Martin Browne, Work Council Member (ähnlich BR) bei Thomas Cook (Kabinencrew). Martin schilderte die Probleme von Gewerkschaftern im Betrieb.
Das Seminar wurde in einem Tagungsraum im Mechanics Centre, dem Gründungsort des TUC, abgehalten. Ein geplanter Ausflug nach Liverpool ist leider am abgebrochenem Außenspiegel des Busses gescheitert. Der Spiegel konnte aber repariert werden.

Zum Wochenende nach Tolpuddle: Zum Step 4 in England gehörte auch ein Wochenende in Tolpuddle im Süd-Westen Englands und dort der Besuch des großen britischen Gewerkschaftsfestivals aller Gewerkschaften und Altersgruppen. Dieses Festival findet statt zu Ehren der Tolpuddle-Märtyrer – 6 Farmer, die im 19. Jhd. eine Gewerkschaft gegründet haben, was an sich nicht mehr strafbar war, aber von vielen trotzdem unerwünscht. Durch die Abgabe eines geheimen Schwures konnten sie angeklagt und deswegen in einem politisch-motivierten Prozess nach Australien und Tasmanien deportiert werden. Dies geschah unter großer medialer Begleitung und wurde zum Skandal. Massive Proteste, inklusive einer riesigen Demonstration in London, Petitionen und Lobbyarbeit waren die Folge. Die Märtyrer konnten so rehabilitiert und nach vier von ursprünglich sieben Jahren Strafkolonie zurückgeholt werden.

Die Ver.di und die ESBS Gruppe einträchtig vor dem Museum der Tolpuddle-Märtyrer

Die Teilnehmenden besuchten viele Diskussionsforen und Vorträge, u.a. zur Frage was britische Gewerkschaften von Deutschland lernen können – sogenannte „German Lessons“ – mit John Monks, dem ehemaligen Vorsitzenden des EGB. Gemeinsam mit einer ver.di Gruppe aus dem Saarland und Rheinland-Pfalz gab es in diesen Tagen vieles zu entdecken und kennenzulernen.
Dazu bot das Festival zahlreiche kulturelle und musikalische Angebote  und ein tolles Essensangebot – jamaikanisch, indisch, biologisch, full english breakfast.
Am letzten Tag der politischen Europa-Reise gab es noch einen Ausflug nach Dorchester zum alten Gerichtshof. Dorthin, wo die Märtyrer verurteilt wurden. Das wurde kombiniert mit einem Ausflug ans Meer: Fish´n´Chips essen oder sich dieses von Möwen klauen lassen.
Die Rückfahrt verlief dann über Dover mit der Fähre nach Calais.

Fazit: Die Seminarreihe stellt eine spannende und intensive Gelegenheit dar, Europa näher kennenzulernen. In der Auseinandersetzung mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Gewerkschaftssystemen werden viele eigene Sichtweisen in Frage gestellt und neu überdacht. Die Sprachbarrieren können mit viel Übung und Training, aber auch Vertrauen und Offenheit, leicht überwunden werden. Betriebliche Praxis und die Kämpfe die geführt werden, sind in der Form überall anders, aber im Kern die gleichen. Die Erkenntnisse und Erfahrungen über nationale Grenzen hinweg zu denken und zu fühlen stellt eine wichtige Bereicherung dar – das macht Europa Step by Step zu einem ganz besonders wertvollen Angebot für die gewerkschaftliche Bildungsarbeit.