Protest braucht Perspektive!

„Wer bestimmt die Welt?“ lautet das Motto unseres dreitägigen Forums zum Auftakt des Bundestagswahljahrs 2013. In seinem Einstiegsreferat spitzte Prof. Dr. Elmar Altvater diese Frage zu Beginn weiter zu. Die Kernfrage aus seiner Sicht: Wem gehört die Welt? Und: Wie bitte muss Gewerkschaftspolitik strategisch ausgerichtet werden, um weltweit erfolgreicher zu sein?

Berechtigte Fragen: Denn jenseits einzelner gewonnener (Tarif-)Schlachten stellt sich die Verteilungsfrage so brisant wie eh und je: Der Konflikt zwischen arm und reich hat sich – weltweit und hierzulande –  verschärft. Die Waffen klassischer Entgelt- und Tarifpolitik müssen angesichts von Globalisierung und minimierten Kernbelegschaften heftig nachgeschärft werden. Internationale Wettbewerbskonkurrenz wächst und Umverteilung über den (Wohlfahrts-)Staat ist in Zeiten der Finanzkrise schwer. Ob es mit „Gesetzen zur Beschleunigung des Wachstums“ gelingt, weiter explodierende Staatsschulden abzubauen und Arbeitsplätze zu sichern, bleibt mehr als fraglich.

Klar ist dagegen: Das Interesse des Kapitals an Akkumulation also Wachstum ist zwanghaft. Das heißt auch immer Naturverbrauch. Die (Energie-) Ressourcen der Erde sind aber begrenzt: Zwei Logiken, die sich eklatant widersprechen und die Kumulation von Problemen bis es kippt? „Gerade hier muss es den Gewerkschaften gelingen, den  Schulterschluss mit sozialen und ökologischen Protest-Bewegungen zu verstärken und internationaler zu agieren“, rät Prof. Altvater. Denn die  „Begrenztheit der Kugelfläche“ unserer Erde und ihre natürlichen Ressourcen erweisen sich zunehmend als eine harte Bedingung für den (sozialen) Frieden.

„Wer das nicht sieht und handelt, ist fahrlässig!“
Aus Sicht von Elmar Altvater sind „The World´s Billionairs“ laut der berüchtigten Forbes-Liste der Superreichen jedenfalls nicht die „Eigner der Welt“. Sie lassen sich zwar personifizieren, sind aber lediglich einige ausgebuffte bis zufällige Profiteure des (Finanz-)Kapitalismus, der gestärkt durch die „neoliberale Konterrevolution“  der letzten Jahrzehnte weltweit agiert und – zum Schrecken aller – völlig außer Rand und Band gerät. Deutschland schneidet dabei im internationalen Vergleich zwar noch gut ab, kann sich dem aber „als Insel der Glückseeligen“ nicht entziehen.

Entgrenzte Nationalstaaten …
Das Kapital hat die eigene Mobilität als Machtressource entdeckt und genutzt. Durch die Liberalisierung internationaler (Finanz-)Märkte und die begleitende Entgrenzung der Nationalstaaten wird die „reale Wirtschaft“ weltweit kastriert und ausgeplündert. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben sich von der Dritten auch in die Erste Welt ausgeweitet. Die großen Finanz-Player – Banken, Multis und Shareholder – bestimmen mit  ihrer hohen Kapitalkonzentration über die Bildung der Wechselkurse und damit über Zinsen und Preise, Märkte und Moral, Gewinner und Verlierer.

Entbettung der Märkte …
Die Herausforderung: Was stattfindet, ist eine Entmoralisierung der Märkte. Alles wird kommerzialisiert: Menschen, Beziehungen und Natur. „Vereinfacht, aber nicht falsch, kann gesagt werden, die Entbettung der Märkte bedeutet, dass sich Kapitalinteressen gegenüber allen anderen gesellschaftlichen Interessen durchsetzen können“. Ökonomie siegt über traditionell entwickelte Sozialstrukturen sowie gesellschaftliche Werte- und Mitbestimmungssysteme. Die kriselnde Weltwirtschaft wirkt also nicht nur ökonomisch, sondern eminent politisch: Alte Gewissheiten geraten ins Wanken. Neu festgelegt wird, wer das Sagen hat. Dabei ist unübersichtlich, wie sich Rollen und Gewichtungen künftig in der Welt neu verteilen. Doch kein Grund nur zum Klagen: Da wo die Gefahren wachsen, wächst bekanntlich auch das Rettende: Entstanden ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten nämlich auch, ein bunter, junger und vielfältiger international besser denn je vernetzter Widerstand diverser Prostest- und Alternativbewegungen. Hier heißt es für die Gewerkschaftsbewegung sich neu zu beweisen und zu vernetzen.

Die „Mosaik-Linke“ muss ein Bild ergeben …
„Man kann sich den Kapitalismus auch abgewöhnen!“ Was und wie von wem produziert wird, ist dabei zunehmend eine hoch politische Frage, die an Bedeutung wieder gewinnt. Umso wichtiger, dass Gewerkschaften sich einmischen und einreihen in diese sozial-ökologischen Bewegungen: Das heißt einen aktiven Beitrag dazu leisten, dass sich aus einem Potpourri sozio-kultureller Milieus, Themen und Interessen, endlich wieder eine Art „Mosaik-Linke“ herausbildet – mitgeschöpft hat den Begriff „Mosaik-Linke“ Hans-Peter Urban aus dem Geschäftsführenden Vorstand der IG Metall). Es gilt historische Erfahrungen ehrlich zu bilanzieren, Erkenntnisse zu sammeln, neu zu bündeln und gemeinsam ein sichtbares und für Menschen attraktives Profil zu entwickeln. Denn diese „Mosaik-Linke“ muss ein klares Bild ergeben. Ein Bild, das Menschen anspricht, begeistert und mobilisiert.

Raus aus dem „Gehäuse der Hörigkeit“…
Keine leichte Aufgabe: Die Logik der Sachzwänge obsiegt derzeit – im Kleinen wie im Großen. Politik scheint „alternativlos“. Doch wie kommt man raus aus diesem „Gehäuse der Hörigkeit“ wie es der Soziologe Max Weber einst nannte? In seinem Referat nennt Prof. Altvater, die aus seiner Sicht wichtigen Eckpunkte. Demnach heißt es:

  • Theoretisches Großreinemachen und Begriffe putzen
  • Die Wirtschaft wieder als „Politische Ökonomie“ begreifen
  • Die „Entbettung der Natur“ rückgängig machen (Nachhaltigkeit)
  • Den Wachstumsbegriff klug infrage stellen
  • Die Europäisierung der Politik vorantreiben
  • Nicht nur Theorien sondern konkrete Utopien entwickeln

Das Ziel: „Die Abschaffung des Kapitalismus wie wir ihn kennen“. Es gilt kollektiv wieder die Frage aufzuwerfen, wie – angesichts der Restriktionen und Begrenzungen der Natur sowie wachsender Konflikte – eine menschenwürdige Gesellschaft aussehen kann?

Auch hierbei empfiehlt Prof. Altvater, die glaubwürdigen Zusammenarbeit mit den „neuen“ internationalen Protestbewegungen: „Der Betrieb wurde von den Gewerkschaften immer als kardinaler Ort der Organisation begriffen. Aber da, wo  es ganze Kernbelegschaften zur fabrica diffusa zerlegt, sich international neue Formen des Protests auftun und in allen Ecken der Welt neue Ideen keimen, gilt es den Diskurs  zusammenzuführen und gemeinsames Denken und Handeln zu organisieren“. Auch für die Gewerkschaftsbewegung letztlich eine Existenzfrage.

Auf zu neuen und attraktiven Utopien …
Nicht einfach, aber zwingend: „Der Neoliberalismus und eine Überbetonung des Individuums  haben die Idee von kollektivem, solidarischem Handeln unattraktiver gemacht. Viele Köpfe sind nur noch angefüllt mit dem rauschenden Flimmern von viel Gerede und blankem Konsum. Vorbehalte gegen Parteien und auch Gewerkschaften, in der Gesellschaft und den Protestbewegungen, sind größer geworden. Der Anschluss an junge Generationen geht vielerorts verloren. Und: Fehler wurden gemacht – auch von Gewerkschaften“. Aber: „Es wäre geschichtsvergessen, daraus jetzt keine Konsequenzen zu ziehen“. Dabei gilt: Reine Appelle verhallen und gemeinsame Interessen allein, reichen nicht aus. Der Kitt einer Gemeinschaft – übrigens auch der IG Metall selbst – sind ethische und kulturelle Werte. Sie müssen zusammen entwickelt, gemeinsam mit Leben gefüllt und gepflegt werden: Verteilungsfragen allein bringen es nun mal nicht!“

Dem Referat folgte eine ganze Serie von Fragen und Anmerkungen aus dem Plenum. Als Petra Wolfram (BiZ Sprockhövel) als Moderatorin, dies etwas schamhaft unterbrach und zum Mittagessen mahnte reagiert Prof. Dr. Altvater ruhig und gelassen: „Das macht doch nichts! Im Gegenteil: Eine Unterbrechung ist manchmal etwas sehr Produktives“ …

Fangen wir doch danach einfach neu an…“

PS  Auch Eure BiZ-Internetredaktion folgt diesem Rat und endet hier erst einmal. Mehr zum weiteren Verlauf des Politischen Forums berichten wir zeitnah aber an anderer Stelle. Dazu gehörend: Die anregende Diskussion mit Schriftsteller und Krimiautor Mathias Altenburg (alias Jan Seghers) unter dem Motto „,Anstiftung zum Ungehorsam!“, Infos zu den vier interessanten Themen-Workshops und ein Fazit der TeilnehmerInnen des diesjährigen Forums, erörtert gemeinsam mit IGM Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban.

MG