Protest braucht Phantasie!

Matthias Altenburg (alias Jan Seghers)  ist als Autor breit aufgestellt:  Er schreibt Kurzgeschichten und Romane, journalistische Arbeiten sowie Drehbücher und agiert unter Pseudonym auch als Krimiautor. Beim diesjährigen Politischen Forum referierte er eine „politisch-literarische Stellungnahme“ unter dem Motto „Anstiftung zum Ungehorsam“ (siehe Lese-Tipp weiter unten).

Heraus kam eine anregende Mischung

  • eingeleitet durch ein Interview zu Arbeiten und Arbeitsstil
  • unterfüttert durch kurze Lesungen aus eigenen Texten
  • abgerundet durch die angeregte Diskussion mit dem Publikum

Das was in der Runde alle ganz besonders interessierte: Wie arbeitet ein Schriftsteller, wenn er seine menschlichen Geschichten mit gesellschaftlicher Wirklichkeit verknüpfen will?  Ausgehend von dieser Frage entspann sich auch eine kritische Debatte über den Stellenwert von Kultur und Ästhetik im Rahmen gewerkschaftlicher Arbeit.

Schreibregeln eines Autors – anwendbar auf den politischen Alltag …

Einige von Altenburg anschaulich erörterten „Regeln des Schreibens“ lassen sich dabei verblüffend gut auf das politische Tagesgeschäft übertragen, zumindest wenn man es gut, spannend und begeisternder gestalten will. Denn wer sähe hierbei keine Parallelen:

  • Inspiration: Die holt man sich am besten aus der eigenen Wirklichkeit und dem Alltag. So wird „ein Haus, an dem man täglich vorbeifährt zum Ort für einen Mord“. Oder ein spontan gefallener Satz zu einer Idee, die richtig Fahrt aufnimmt.
  • Geschichte: „(Soziale) Phantasie braucht ein reales Sprungbrett,  sonst bleibt alles nur heiße Luft“. Sprich: Man sollte sich mit seinem Thema und Genre möglichst konkret auskennen bzw. ernsthaft befasst haben.
  • Anspruch: „Die (politische) Botschaft darf beim Schreiben  nicht aus jeder Zeile tropfen“. Denn die Dramaturgie einer Handlung und die Eigenständigkeit der Akteure muss man Ernst nehmen. Beides muss im Vordergrund bleiben. Sonst wird es schnell platt und fesselt nicht mehr.
  • Tatorte und Akteure: „Was (beim Krimi) den Tatort interessant macht ist, dass da plötzlich verschiedenste Milieus und Menschen aufeinander prallen. Typen, die ansonsten wenig Berührung haben und die scheinbar nichts verbindet sind plötzlich in eine gemeinsame Geschichte verquickt: Es kommt zu ungewöhnlicher und direkter Begegnung: Erst dadurch aber entsteht Farbe und wird es bunt, turbulent und lebendig.
  • Der „rote“ Faden: Für eine Geschichte gilt es zuerst die Figuren auf die Beine zu stellen und sie zum Laufen zu bringen sowie sehr klare Fluchtpunkte zu definieren: „Auf den für die Leser zusätzlich ausgelegten Bananenschalen darf man aber als Autor nicht selbst ausrutschen. Sie halten zwar die Geschichte spannend, dürfen sich aber nicht verselbstständigen und von den eigenen Zielen ablenken“.
  • Die Arbeit selbst:  Da heißt es, dran bleiben! Beim Schreiben überprüft man beständig: Stimmt die Geschichte noch? Überzeugen die neu dazu kommenden Figuren? Stimmt der letzte und nächste Satz? „Da muss man durchwollen – Zeile für Zeile bis zum Ende“.
  • Steht das Eigene, braucht es Einwände: „Und zwar möglichst viele davon! Ein fertiges Rohmanuskript wird von Freunden, Kollegen und Lektoren kritisch gelesen. Ihre Fragen und Korrekturvorschläge sind wichtig! Erst so entsteht eine stimmige Erzählung, die als veröffentlichtes Buch Bestand hat.
  • Erfolg: Er kommt spät, unverhofft und manchmal nie. Erfolg ist nach wie vor abhängig von Markt und Medien, aber auch der Mundpropaganda. Trifft man den Nerv der Zeit sind es oft die persönliche Weiterempfehlungen der LeserInnen, die ein Buch zum Erfolg machen: Erstaunlich sind dabei – gerade im Zeitalter von Web 2.0 – die Wege, auf denen sich etwas herumspricht und das Tempo.


Mehr Phantasie bitte – auch in den eigenen Reihen …

Regeln, die im auch Alltag helfen! Matthias Altenberg plädiert dabei für eine freie, eigenständige und wichtigere Rolle der Kultur(-schaffenden): Im persönlichen Leben, in der Gesellschaft sowie in den Gewerkschaften selbst. 
Das Plenum pflichtete dem in der Debatte bei: „Auch unser Blick ist meist zu sehr auf das operationelle Kerngeschäft verengt“ vermerkt ein Diskutant: „Auch in der IG Metall setzen wir zu sehr auf  pure Tradition, reinen Mainstream oder bloßen Konsum. Viel zu wenig auf alle sechs Sinne, junge Avantgarde oder eine zeitgemäße Neubelebung des Prinzips Selbermachen. Kultur und Kunst wird oft als reines oder gar unnützes Beiwerk missverstanden“. Dazu der Autor: „Auch und gerade Linke checken KünstlerInnen und ihre Beiträge leider meist nur danach, ob es passt, was das bringt und kostet, ob man damit nicht zu sehr aneckt. Es gilt aber zu akzeptieren,  dass es einen ästhetischen Blick auf die Welt gibt, der mit ganz anderen Mitteln, die Herzen der Menschen öffnet“. Fazit – auch für eine Kultur als Gewerkschaftsbewegung: Es sollte anregen und bewegen. Aber es darf und muss auch aufregen: Nicht nur „die Anderen“ – sondern auch uns selbst!

Kleiner BiZ-Lese-Tipp: „Courage – Anstiftung zum Ungehorsam“. Auf 128 Seiten und in 50  kurzen Kapiteln wendet sich Matthias Altenberg an seine 16-jährige Tochter Paula. Das handliche Bändchen liefert Orientierung, gesellschaftliche Zusammenhänge und aktuelle Gründe, sich zu empören: Ein verständliches Plädoyer für mehr eigenständiges Nachdenken. »Hier eine aufmunternde, kurze swr2-Buchkrititik.

Mehr zu Matthias Altenburg (alias Jan Seghers) sowie seinen Romanen, Krimis und anderen Publikationen  findet sich »hier und auf seiner »Homepage.

MG