Guntram Schneider – einer von uns

In seiner pointierten und gehaltvollen Rede positionierte sich Eröffnungsgast Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen auch klar als Metaller: „Für mich ist eine Reise nach Sprockhövel immer eine Reise in die eigene Heimat. Ich verbinde viel mit diesem Ort – man kann eben auch in einer Organisation beheimatet sein“. Nach diesem Kompliment an das Bildungszentrum Sprockhövel und die IG Metall stieg er engagiert ins Thema ein.

Inklusion statt Integration
Dabei fremdelte Schneider anfänglich erst einmal etwas mit den Begrifflichkeiten: „Wie kann ich einen türkischen Kollegen, der bereits seid über 40 Jahren hier ist, im Stahlkonzern Outokumpu arbeitet und nun den Finnen beibringen soll, wie man rostfreien Stahl produziert, nachträglich willkommen heißen?“ Und auch den im eigenen Ministertitel noch geführten Begriff der Integration stellt er als veraltet zur Disposition. Betrachtet er gesellschaftliche Wirklichkeit und demographischen Wandel, gilt eine einfache Wahrheit:

„Die Mehrheit wird künftig – hinsichtlich ethnischen Herkunft –
immer mehr aus Minderheiten bestehen“.

Zu klären ist laut Schneider: Wie das Einbringen anderer Kulturen in diese Gesellschaft erfolgen soll, wie sich Integrationspolitik neu aufstellen kann und sich „die sozialen Fliehkräfte“  der (Klassen-) Gesellschaft in Zukunft noch erfolgreich bündeln und zusammenhalten lassen. Seine Antwort mit Blick auf alteingesessene und neue Migration: Gleichberechtigung und politische Partizipation, sozial gerechte Teilhabe, Bildungschancen und Qualifikationsangebote. Als Grundlage für gleiche Rechte definiert er dabei zwei Vorraussetzungen: Deutsch als gemeinsame Verkehrssprache und die hiesige demokratisch vereinbarte Rechtsordnung.

Es geht um die gerechte Vergabe von Arbeits-, Bildungs- und Lebenschancen…
… und gemeinsame Interessen im Rahmen direkter Begegnung auf Augenhöhe. Dazu Schneider am Beispiel NRW: „Mittlerweile haben zwar 33% aller unter 28-jährigen Türken eine Hochschulzulassung, allerdings ist die Zahl derer, die gar keinen Schulabschluss haben, immer noch doppelt so hoch wie der Durchschnitt. Bei einer landesweit durchschnittlichen Arbeitslosenquote in Höhe von  8,5 % , liegt der Anteil an Migranten weit darüber, in manchen Stadtteilen bis zu 50 %. In Deutschland gibt es 7,5 Millionen Analphabeten, was mit Zuwanderung und Migration übrigens nur am Rande zu tun hat… Aber, man kann eben nicht sonntags vom drohenden Fachkräftemangel und Werten reden und montags nichts dagegen tun“.  

Schneider: „Bildung allein reicht nicht, es kommt auf demokratische Gesinnung an“
Dabei spielen die Gewerkschaften aus Sicht von Guntram Schneider natürlich eine große Rolle, auch im Kampf gegen alltäglichen Rassismus und skandalösen Umgang mit Menschen. Gewerkschaftliches und politische Handeln ist angesagt,

  • denn wer ist der Täter und Opfer, wenn für eigentlich unbewohnbare Behausungen und Asylunterkünfe horrende Mieten kassiert werden?
  • wenn auf dem „Arbeiterstrich“ billige Tagelöhner „gehired und gefired“ werden.
  • wenn Migrant/-innen zwar Chef/-in im Aufsichtsrat werden können, jedoch nicht als Bürgermeister/-in für Sprockhövel kandidieren.
  • wenn der Staat hierzulande geborenen und aufgewachsene Menschen mit Anfang 20 die Entscheidung für einen Pass aufzwingt, oder nur geduldete Kinder und Jugendliche einfach abschieben kann.
  • wenn Nachname oder Absenderadresse über die Bevorzugung beim Bewerbungsgespräch entscheiden und
  • Vorurteile und Klischees von Leuten im Kaschmirpullover lanciert werden.

„Eine Gesellschaft der Freien und Gleichen….“  (1789)
Auch wenn der Weg zäh und von Kompromissen gezeichnet ist, bleibt für Guntram Schneider als dringliches Ziel ein modernisiertes Staatsbürgerrecht und gelebte Solidarität.  Seine eindringliche Warnung:

„Achtung! So attraktiv ist Deutschland ehrlich gesagt schon lange nicht mehr:
Wenn wir so weiter machen, werden gerade gut ausgebildete, flexible Junge woanders hingehen. Wir müssen ihnen nicht nur das Gefühl geben, sie willkommen zu heißen. Sie müssen willkommen sein“. Insofern gilt, dass Migrationspolitik keine Sache der Migranten ist sondern von uns allen. Dennoch gilt laut Schneider: Die MigrantInnen müssen laut werden und Subjekte  im politischen Prozess sein. Starke Ansätze von selbstbewusster Selbstorganisation sund unverzichtbar und wichtig. Denn: Wer nicht laut wird, wird in dieser Gesellschaft nicht gehört“.

In diesem Sinne zitierte er zum Abschluss seiner Rede Johannes Rau: „Niemand soll in diesem Land Angst haben, weil er anders ist!“