Neuigkeiten zu Beruf und Pflege

Am 01. Januar 2015 sind neue gesetzliche Regelungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege in Kraft getreten. Ein guter Grund für das rührige Netzwerk W(iederenstieg) im Ennepe-Ruhr-Kreis, Netzwerk-Partner und interessierte Betriebs- und Personalräte zum gut besuchten Fachgespräch ins Bildungszentrum Sprockhövel einzuladen.

Gesetzliche Neuerungen nutzen und bekannt machen
„Die ambulante, das heißt die häusliche Pflege und der Rechtsanspruch der Betroffenen ist durch das neue Gesetz enorm gestärkt worden“, bilanziert Elke Zeller, Koordinatorin der Pflegeberatungsstellen in Ennepetal-Ruhr-Kreis die neue Rechtslage. Zusammen mit Elke Jung, Pflegeberaterin der Stadt Sprockhövel informierte Elke Zeller über die neuen Regelungen im Detail und die Auswirkungen in der Praxis.

Aus Sicht der beiden Referentinnen positiv: 

  • Die gesetzliche Freistellungstellungsregeln für pflegende Angehörige wurden optimiert.
  • Die Pflegekassen des Pflegedürftigen zahlen Pflegeunterstützung als Lohnersatz,
    was ca. 90% vom netto entspricht.
  • Der Finanzierungsrahmen von ambulanter (Tages-)Pflege wurde deutlich verbessert.
  • Der Anspruch auf kostenlose und persönliche Pflegeberatung bleibt gesichert.
  • Und: Die Definition freistellungberechtigter Angehörigen wurde erweitert. Sie umfasst
    nun z.B. auch unverheiratete Partnerschaften, Schwager oder Schwägerin.

Die „Pferdefüße“ der Neuerungen bleiben Fachleuten wie Christian Derksen, Personalrat bei der Stadt Witten natürlich nicht verborgen: „Freistellungen sind meist nicht mehr als Anspruch auf unbezahlten Urlaub, die neuen Regelungen schließen viele Beschäftigtengruppen sowie Kleinbetrieben unter 15 Beschäftigten aus und dazu darf die Freistellung nicht „gestückelt“ werden“. Positiv bewertet er vor allem die erweiterte Definition der Angehörigen.

Arbeiten. Leben. Pflegen.
„Positive Errungenschaften fallen leider nicht vom Himmel…“ 

Sie müssen mit viel sozialer Phantasie neu erfunden, gemeinsam ausgehandelt und durchgesetzt werden. Darum bemüht sich das IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel als eines von derzeit zwanzig Unternehmen, die im regionalen Netzwerk und der gemeinsamen Pflegekampagne bisher mitwirken. Es profitieren davon einerseits die 80 Beschäftigten im Bildungszentrum. Andererseits: will man das Thema „Vereinbarkeit und Pflege“ sowie die positiven Erfahrungen mit der Netzwerkidee künftig – über die eigene Bildungsarbeit – auch verstärkt für interessierte Betriebs- und Personalräte zugänglich machen. 

Für Fritz Janitz, Schulleiter im Bildungszentrum und Gastgeber der Runde ist das Thema „Vereinbarkeit“ eine Frage der Glaubwürdigkeit: „Als gewerkschaftliches Unternehmen werden wir von der Öffentlichkeit und den Seminarteilnehmenden, genauestens bewertet: Es gilt zeitgemäßen Service und attraktive Bildungsangebote zu liefern. Zu Recht erwartet wird aber besonders, eine vorbildliche Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen und die innovative Umsetzung gewerkschaftseigener Forderungen und Werte der IG Metall. Für uns ist das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ deshalb kein Nebenschauplatz – sondern strategisches Zukunftsthema“.

Valide und aktuelle Untersuchungen – unter anderem die Große Beschäftigtenumfrage der IG Metall – bestätigen das: Für die große Mehrheit aller Beschäftigten in der Bundesrepublik sind heutzutage flexible Arbeitszeiten und die gute Vereinbarkeit von Berufstätigkeit, Leben und Familie, ein besonders hoch bewertetes Gut.  

Der Härtetest ist ein guter innerbetrieblicher Umgang 
mit dem „Notfall Pflegebedarf“

„Ja! Wir unterstützen unsere Beschäftigten wenn sie pflegebedürftige Partnerinnen und Partner, Kinder, Eltern oder andere betroffene Angehörige haben!“, das vertritt auch Christina Flügge, BR-Vorsitzende im Bildungszentrum: „Im Fokus unserer Debatte um „Vereinbarkeit“ war und ist zurecht eine gute Kinderbetreuung. Die Pflege von Angehörigen ist aber für viele Menschen heutzutage eine mindestens ebenso wichtige Herausforderung. Resolut widerspricht die Betriebsrätin dabei der verbreiteten Annahme, dass es sich „nur um vereinzelte Fälle“ handelt, die sich ja im Bedarfsfall „irgendwie regeln lassen“. Ihre Erfahrungen:

„Fragt man ernsthaft nach, dann sind bis zu 25 % der Beschäftigten
persönlich betroffen, zumindest temporär!“
Seminarteilnehmende und auch Kolleginnen und Kollegen im Haus berichteten immer wieder darüber, wie das Thema in Betrieben weggeschoben und tabuisiert wird. Persönliche Betroffenheit wird schamhaft verschwiegen, ja oft regelrecht verheimlicht. „Viele halten die Pflege kranker Kinder, Partner oder Eltern, selbst in extremen Belastungssituationen, leider immer noch für ein rein privat zu lösendes Problem. Sie sind sich gesetzlicher Ansprüche nicht bewusst und über konkrete Beratungs- und Hilfsangeboten wenig informiert. Interessanter Weise sind es gerade Männer in Führungspositionen, die lange nicht über ihre Situation sprechen. Sie haben oft große Angst, dass ihre Leistungsfähigkeit von Vorgesetzten, Kolleginnen oder Kollegen infrage gestellt wird“.

„Ein offener Umgang und mehr Bereitschaft zur Unterstützung
gehören
 dringend auf die Tagesordnung.“ 
Dazu Petra Böhm, Netzwerkbeauftragte im Bildungszentrum: „Bewährt hat sich dazu unser Einstieg in die Pflegekampagne. Unverzichtbar ist eine kollegial geführte Diskussion, die immer wieder neue Impulse braucht. Empfehlenswert ist der Abschluss einer Betriebsvereinbarung: Darin sind bei uns nun klare Ziele formuliert, Ansprüche auf bezahlte (!) Freistellung geregelt und der flexible Umgang mit Arbeitszeiten abgesichert. Und: Verhindert wird mit einer Betriebsvereinbarung zudem, dass sich Betroffene als ohnmächtige Bittsteller fühlen müssen und schon deshalb ihre Situation verbergen“.

Das wünscht sich auch Kollegin Angela Wierzbicki, Personalratsvorsitzende bei der Stadt Herdecke: „Ein Bedarf ist doch nicht erst dann Bedarf, wenn er gemeldet wird!“, Sie selbst hat den Härtefall alleine durchkämpfen müssen: „Vier Kinder, voll im Job – und dann erkrankte mein Mann unheilbar an Krebs. Geprägt von dieser Erfahrung, will sich nun auch in Herdecke stark machen für eine Partnerschaft mit dem Netzwerk „W“iedereinstieg. Ihre spontane Bereitschaft zum Engagement ist dabei, wie übrigens bei vielen Netzwerk-Pionieren, echte Herzenssache: „Ich wäre damals heilfroh gewesen über so etwas wie das Netzwerk. Das was ich selbst erlebt habe, will ich meinen Kolleginnen und Kollegen gerne ersparen!“.

„Es geht nicht darum, sich bloß öffentlich als Vorzeigebetrieb zu profilieren, 
sondern darum, sich zu öffnen und machbare Schritte zu organisieren.“
Christa Beermann, Koordinatorin der Pflegekampagne IM Ennepe-Ruhr-Kreis freut sich über jeden neuen Unternehmenspartner! Denn sie will Wissen, Erfahrung und Austausch weiter voranzubringen: „Eine eigene Betriebsvereinbarung kann dabei natürlich ein tolles Instrument sein, insbesondere wenn sie gemeinsam erarbeitet wird und mehr Support garantiert als der Gesetzgeber vorschreibt. Vor allem aber muss im Unternehmen das Thema „Vereinbarkeit“ gelebt werden und wirklich gewollt sein .“ Genau hier bewährt sich aus Sicht der bereits am Netzwerk beteiligten Unternehmen, vor allem die gute Zusammenarbeit mit den Beratungs- und Hilfseinrichtungen vor Ort.

Das regionale Netzwerk:

  • unterstützt die beteiligten Unternehmen ganz praktisch
  • schult und informiert betriebliche Netzwerkverantwortliche
  • verfügt über konkretes Wissen für geeignete Maßnahmenpläne
  • entwickelt starke Ideen, die nachgeahmt werden sollen

Das bewährt sich im Bedarfsfall – wenn die konkreten Fragen lauten:

  • Was ist erforderlich?
  • Wer kann das tun?
  • Wo gibt es praktische Hilfe?
  • Wie wird das finanziert?


Vereinbarkeit verbessern – das Netzwerk weiter stärken! 
Die Gretchenfrage lautet im Ennepe-Ruhr-Kreis nicht länger: Darf man beim Arbeitgeber mit Verständnis und Unterstützung in Pflegenotfall rechnen? Die Fragen lauten, wie finden sich gute Lösungen, kurze Wege und neue Partnerinnen und Partner für die Netzwerkarbeit. Gefragt sind aufgeschlossener Unternehmen und engagierte Personal- und Betriebsräte:

Letztere wollen ihre Erfahrungen und Kontakte übrigens künftig im Rahmen des Netzwerkes weiter vertiefen. Gemeinsam vereinbart wurde, sich in loser Folge zum direkten Erfahrungsaustausch zu treffen.

Demographischer Wandel, hohe Mobilitätsansprüche, möglichst produktive Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, attraktive Nachwuchsrekrutierung und neue Erwartungen bei gut ausgebildeter Fachkräften  das alles sorgt hoffentlich dafür, dass aus einem vermeintlichen Tabu-Thema, ein echtes Gewinnerthema wird – im Interesse von Menschen, Unternehmen, Gemeinden und einer lebenswerten Gesellschaft.  

Weitere Infos zu Netzwerk und neuer Gesetzeslage:

Im Internet:
» www.arbeiten-pflegen-leben.de
 Oder per Mail bei:
Fritz.Janitz@igmetall.de
Petra.Boehm@igmetall.de