Selbstverteidigung & Dialog á la Brasil…

Capoeira kommt aus Brasilien! Eine anmutige Kombination aus Kampfsport und Tanz im Rhythmus afrikanischer Musik. Ursprünglich die Kampfkunst afrikanischer Sklaven gegen ihre kolonialen Unterdrücker. Mehr dazu erfuhr die Homepage-Redaktion von Ron Bilstein, Capoeira Instructor. Sein spannender Sommerschul-Workshop fand am Vorstellungsabend regen Zulauf. Kein Wunder, denn aus der Kolonial- und Immigrationsgeschichte Brasiliens und schwarzer Widerstandskultur kann das Europa von heute einiges lernen  – auch mit Blick auf den interkulturellen Dialog moderner Einwanderungsgesellschaften.

* Ron, wann und wie entstand Capoeira?
Im Jahr 1500 landete der Portugiese Pedro Álvares Cabral in Brasilien. Wie in der Geschichte der Kolonialisierung üblich, wurden zunächst die Einheimischen, brasilianische Indianer, gefangen genommen und versklavt. Sie starben allerdings zu Hunderttausenden in Krieg und Gefangenschaft. Auf Druck der Kirche wurde schließlich die Versklavung der Ureinwohner verboten. Ihre Unterwerfung vollendete die Portugiesen lieber auf dem Wege der christlichen Missionierung. Parallel importierte man die benötigten Arbeitssklaven aus anderen Ländern – in Afrika. Tausende Sklavenschiffe überquerten den Atlantik und landeten mit Ladungen voller ‚Negersklaven’ an den Ufern Brasiliens. Da 1888 alle Unterlagen über die Grausamkeiten der Sklaverei verbrannt wurden, gibt es leider keine genauen Zahlen. Schätzungen reichen von drei bis 18 Millionen Menschen, die seit 1535 je als Sklaven nach Brasilien kamen. Das Ergebnis:

„Nicht die USA sondern Brasilien ist bis heutzutage das Land mit dem größten Anteil afrikanisch-stämmiger Menschen außerhalb Afrikas!“
Die Afrikaner/innen kamen allerdings aus ganz unterschiedlichsten Ländern und Stämmen, vornehmlich Bantu- und Sudanesengruppen aus Angola, Mozambique und dem Kongo. Dabei sollte man beachten, dass sich diese Gruppen, untereinander meist völlig fremd waren und erst im Laufe der Zeit eine neue Gemeinschaft entstand. In dieser Epoche entstand auch Capoeira, etwas flapsig formuliert als eine verbindende „Hip-Hop-Bewegung und Protestkultur der schwarzen Sklaven Brasiiens“. Aus der Vielfalt ihrer verschiedenen kulturellen, sozialen und ethnischen Herkunft, aber vereinigt durch das gemeinsame Schicksal von Verschleppung und Unterdrückung, entstanden neue Identitäten, eigenständige Formen des Ausdrucks und eine verbindende (Körper-) Sprache.

* Ist Copeira denn nun Kampf oder Tanz?
Capoeira ist Kampf und Tanz, sowie vor allem ein Spiel und ein aktiver Dialog. Zuerst hört man nur die Musik und sieht einen Kreis von Menschen, die rhythmisch in die Hände klatschen Alle schauen gespannt in die Mitte des Kreises, wo zwei in Weiß gekleidete Personen miteinander kämpfen. Miteinander ‚spielen’ sagen allerdings die Capoeirista selbst dazu. Ihr Kampftanz wird völlig berührungslos ausgetragen – eine/r tritt zu und das Gegenüber weicht mit einer geschmeidigen Bewegung aus. Aus der Ausweichbewegung heraus entsteht – wiederum fließend und wendig – ein neuer Angriff, unter den der Erste mühelos hinwegtaucht.
Das Credo: „Nicht angreifen – aber jederzeit bereit sein, sich zu verteidigen.“

* Kannst Du die Grundelemente beschreiben?
Eigentlich ist es keine Technik sondern eine Haltung: es gilt allen Schlägen elegant auszuweichen und nur im Notfall zu blocken. Dazu bleibt man in ständig fließender Bewegung und ist deshalb kein leicht zu treffendes Ziel: vereinigt werden Akrobatik, Kampfsport, Rhythmik, Reaktionsfähigkeit, Improvisation und Kreativität. Allen Bewegungen zugrunde liegt der Grundschritt (Ginga), ein beweglicher Wiegeschritt aus dem heraus der einzelne Spieler mit Kraft. Leichtigkeit und Dynamik agiert. Tiefe Bewegungen in der Hocke wechseln mit Akrobatik kopfüber (Rad, Kopfstand etc.), hohen Sprüngen und schnellen Kreisbewegungen. Alle Umstehenden klatschen derweil den Rhythmus und singen den Refrain. Innerhalb des Kreises spielen die zwei Capoeiristas miteinander. Das Spiel kann je nach Können und Stimmung eher friedlicheren Charakter haben oder auch in einen Kampf münden.

„Am Ende steht kein Gewinner oder Verlierer fest, sondern die Capoeiristas entscheiden selbst, wann sie IHREN ‚Dialog’ beenden
Allerdings kann jeder der Umstehenden versuchen, sich in das Spiel einzukaufen (aus dem portugiesischen: comprar = kaufen). Dabei signalisiert man bestimmt seine Absicht, nämlich das Spiel zu übernehmen, indem man den ausgestreckten Arm zwischen die Spielenden hält. Die Handfläche ist demjenigen zugewandt, mit dem man ‚reden” und in den tänzelnden Dialog eintreten möchte.

* Es gibt also auch keine Trennung von Akteuren und Publikum?
Nein! Es ist wie im richtigen Leben – wir alle sind Teil eines Spiels und verbunden in einem Kreis. Dabei obliegt es dem einzelnen, sich im richtigen Augenblick einzubringen und aktiv in den Dialog zu treten.