Lizaveta Merliak / Salidarnast 

Seit fast drei Jahrzehnten herrscht Lukaschenko in Belarus. Menschenrechte und  grundlegende Arbeitnehmerrechte wie das Recht auf Vereinigungsfreiheit werden systematisch verletzt. Während der Massenproteste gegen Lukaschenko und sein Regime im Jahr 2020 forderten die Arbeiter die Diktatur mit der Androhung eines Generalstreiks heraus. Das Regime reagierte mit allumfassenden Repressionen gegen die Zivilgesellschaft, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften. 

In 2022 zog Lukaschenko an der Seite eines anderen Diktators, Putin, Belarus in den Krieg gegen das ukrainische Volk. Der Belarussische Kongress Demokratischen Gewerkschaften bezog öffentlich eine klare Antikriegsposition. Die Folge waren massive Verhaftungen, strafrechtliche Anklagen gegen Gewerkschafts- und Arbeiterführer im April 2022 und ein Gewerkschaftsverbot im Juli 2022. 

47 belarussische Gewerkschafter:innen sitzen in Gefängnissen und Strafkolonien in Belarus. Sie wurden wegen Hochverrats, Verleumdung des Staates, Teilnahme an und Unterstützung von extremistischen Aktivitäten zu Haftstrafen von bis zu 15 Jahren verurteilt. Unter ihnen befinden sich bekannte Gewerkschaftsvertreter wie Aliaksandr Yarashuk, der Vorsitzende des BKDP, Vizepräsident des Internationalen Gewerkschaftsbundes und Mitglied des Verwaltungsrats der Internationalen Arbeitsorganisation, aber auch engagierte Männer und Frauen, deren Namen international  kaum bekannt sind. 

Viele von ihnen werden als Extremisten, einige sogar als Terroristen bezeichnet. In den Gefängnissen und Lagern sind die politischen Gefangene besonderer Repression ausgesetzt und müssen gelbe Abzeichen an ihrer Kleidung tragen. Politische Gefangene werden gefoltert und schwer bestraft, indem sie in Isolationshaft in kalten Zellen untergebracht werden. Zwangsarbeit von politischen Gefangenen ohne jede Spur von Arbeitsschutz, oft in der Holz- und Textilindustrie, ist in den Strafkolonien weit verbreitet, um die Gefangenen zu „gesetzestreuen“ Bürgern zu machen. 

Gewerkschafterinnen als politische Gefangene

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Viasna gab es am 25. Dezember 2023 1.496 politische Gefangene in Belarus, darunter 174 Frauen. 

Unter den weiblichen politischen Gefangenen befinden sich heute mindestens sieben Aktivistinnen und Führerinnen unabhängiger Gewerkschaften in belarussischen Gefängnissen und Strafkolonien: Hanna Ablab,Volha Brytsikava, Volha Barushka, Hanna Karneyenka, Sviatlana Sakovich, Palina Sharenda-Panasiuk, und Halina Smirnova. 

Wegen ihrer Aktivitäten haben sie ihre Freiheit verloren. Wie viele belarussische Frauen rebellierten sie gegen Ungerechtigkeit und Diktatur. Im Jahr 2020 marschierten viele Frauen nach den gefälschten Wahlen bei den Protesten gegen Wahlbetrug in der ersten Reihe, im Kampf gegen den Diktator, im Kampf für die Freiheit. Sie forderten nicht nur freie Wahlen, sondern auch die Befreiung von autoritären Strukturen, die Befreiung von einer repressiven Männlichkeit, die Teil von Lukaschenkos Ideologie und Machtbasis ist. Bei ihrem Protest ging es um Gleichheit, Respekt und Selbstbestimmung. 

Sie wurden für ihren Protest zu Haftstrafen zwischen 2 und 11 Jahren verurteilt. Unsere Solidarität und weltweite Unterstützung hilft ihnen und ihren Familien in dieser schwierigen Zeit, in der das Regime sie ins Gefängnis sperrt und nichts anderes will, als dass die Welt sie und ihre Namen vergisst. 

Wir teilen hier die Geschichten unserer Schwestern.

Palina Scharenda-Panasiuk 

Palina ist eine zivilgesellschaftliche und gewerkschaftliche Aktivistin aus Brest. Sie wurde am 3. Januar 2021 verhaftet wurde. Die Mutter von zwei minderjährigen Söhnen wurde aufgrund mehrerer Artikel des Strafgesetzbuches zu den drei Jahren verurteilt. Bei der Gerichtsverhandlung berichtete sie von Schlägen in der Zarečanskaya-Strafkolonie: Ihr Gesicht und ihre inneren Organe wurden schwer verletzt. Ende Februar 2022 wurde gegen sie ein Strafverfahren nach Artikel 411 Teil 2 des Strafgesetzbuchs (böswilliger Ungehorsam gegenüber der Verwaltung der Strafkolonie) eingeleitet. Am 9. Oktober 2023 befand das Gericht Palina für schuldig und verurteilte sie zusätzlich zu der bereits 2021 verhängten Strafe zu einem weiteren Jahr Kolonieaufenthalt 

Palinas Familie musste Bealus verlassen und ist nach Litauen geflohen; sie kämpft dafür, dass ihr Fall der Öffentlichkeit bekannt gemacht wird und fordert ihre Freilassung. 

Weibliche politische Gefangene werden regelmäßig in einem Zuchthaus untergebracht – in einer geschlossenen Zelle mit niedriger Temperatur, in der ihnen Korrespondenz, Pakete von der Familie oder persönliche Dinge, warme Kleidung und auch Bettwäsche vorenthalten werden. Obwohl die genauen Einzelheiten nicht immer bekannt sind und es manchmal nicht möglich ist, öffentlich darüber zu sprechen, finden solche Informationen ihren Weg an die Öffentlichkeit außerhalb des Gefängnisses.

Weil Palina von der Gefängnisverwaltung als „böswillig“ eingestuft wurde, wird sie mit zusätzlichen Einschränkungen bestraft. Die schlimmste ist die Beschränkung der „Einkäufe im Gefängnis“ auf 20 Euro pro Monat. Ohne Geld und ohne Hilfspakete von der Familie ist es bei solchen Beschränkungen  fast unmöglich in der Kolonie zu überleben.

Hanna Karneyenka 

Hanna ist Mitglied der Freien Gewerkschaft der Metallarbeiter und ehemalige Buchhalterin des Minsker Elektrotechnischen Werks Vavilov. Sie wurde nach Protesten am Arbeitsplatz im Jahr 2020 entlassen. Ihre Gewerkschaft verklagte das Unternehmen wegen ihrer illegalen Entlassung. Hanna ist zu fünf Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt worden, weil sie angeblich persönliche Daten von Staatsbediensteten weitergegeben hat. Sie wurde verhaftet, als ihr neugeborenes Baby drei Monate alt war. Ihr Ehemann tut sein Bestes, um sich allein um ihre beiden Kinder zu kümmern. Hanna steht auf der Liste der Terroristen und unterliegt damit verschärften Haftbedingungen. 

Volha Brytsikava

Volha ist die Vorsitzende der unabhängigen belarussischen Gewerkschaft der Bergleute und Chemiearbeiter in der Ölraffinerie Naftan. Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine im Jahr 2022 wurde Volha wegen ihrer Antikriegsposition verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Während ihrer Haftzeit wurde sie fünfmal zu je 15 Tagen verurteilt. Nachdem Volha freigelassen wurde, half sie weiterhin ihren Kolleg:innen. Nach der Auflösung aller unabhängigen Gewerkschaften war sie eine der wenigen verbliebenen Gewerkschaftsführerinnen, die das Land nicht verlassen haben. Im August 2023 hat das Regime sie und einige andere Kollegen verhaftet. Jetzt wird gegen sie in einem Untersuchungsgefängnis des KGB in Minsk ermittelt. Ihr drohen mindestens 6 Jahre Haft. Seit ihrer Verhaftung gibt es fast keine  Informationen über sie. 

Hanna Ablab

Unter den inhaftierten Gewerkschafterinnen ist Hanna diejenige mit der längsten Haftstrafe: 11 Jahre wegen Hochverrats und Verleumdung des Staates. Sie arbeitete für die belarussischen Staatsbahnen und gehörte der Arbeitnehmerinitiative Rabochy Rukh an. Während der Gerichtsverhandlung hat Hanna ihre Schuld bestritten. Die Mutter von drei Kindern wurde vor kurzem aus dem Untersuchungsgefängnis in eine der Frauen-Strafkolonien verlegt. 

Strafkolonien oder Zwangsarbeitslager

Die Orte, an denen weibliche politische Gefangene festgehalten werden, sind Strafkolonien, in denen sie arbeiten sollen. Die Arbeit der politischen Gefangenen ist nichts anderes als Zwangsarbeit ohne Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften, ohne angemessene Bezahlung (oft weniger als 1 Euro pro Monat), meist in der Textilindustrie. Im Falle der weiblichen Gefangenen handelt es sich um eine achtstündige Arbeitsschicht in einer Näherei, in der Uniformen für das Militär, wahrscheinlich die russische Armee, oder für die belarussische Polizei hergestellt werden. 

Gewerkschaft im Exil

Viele Gewerkschafter mussten vor dem diktatorischen Regime fliehen und setzten ihre Arbeit im Exil fort. So gründeten sie im Exil in Bremen einen Verein und nannten ihn Salidarnast – wörtlich „Solidarität“ auf belarusisch – zur Unterstützung von Gewerkschafter:innen, die vom Lukaschenko-Regime verhaftet und verurteilt wurden. Angesichts dessen, dass viele Gewerkschafter:innen unter dem Vorwand von vorgeblichem Extremismus und Terrorismus verurteil wurden, fordern sie die Freilassung ihrer Kolleg:innen mit dem Aufruf: „Gewerkschaftsarbeit ist kein Extremismus“. Salidarnast setzet sich für die Freilassung ihrer Kolleginnen und Kollegen aus dem Gefängnis ein, informiert über die Verfolgungen in Belarus, sammelt Spenden für einen Solidaritätsfonds, um den Familien und Kindern der belarussischen Kolleg:innen zu helfen, vernetzt die ins Exil geflohenen Gewerkschafter:innen und kämpft darum, dass die belarussische Heimat frei sein wird und Arbeitnehmer:innen sich in freien Gewerkschaften organisieren können. 

Die Belarus:innen brauchen hierfür die internationale Unterstützung von Gewerkschaften, Parteien und Regierungen, um den Druck auf das Regime zu erhöhen damit alle politischen Gefangenen freigelassen werden. Lukaschenko muss wissen, dass dies die unverzichtbare Vorbedingung für irgendwelche Gespräche mit demokratischen Regierungen ist.