Ein Gewinn für die Belegschaft und den Arbeitgeber.

Ein Interview von Norma Sachse mit Alex und Lorenz von der Dillinger Hütte.

Basierend auf Studien schätzen Experten, dass etwa zehn Prozent der COVID-Erkrankten mit Spätfolgen zu kämpfen haben. Das sind seit Beginn der Pandemie bis August 2021 ca. 400.000 Menschen die an «Long-COVID» leiden, was sich auch in der Arbeitswelt bemerkbar macht.
Dabei sind die Personen mit herkömmlichen Krankheitsbildern noch nicht mitgezählt. Hierbei ist zu beachten, dass die psychischen Erkrankungen dramatisch ansteigen.
Eine Prävention ist nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sie bestätigt sich auch als eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Die «Betr. Reha-Berater» erkennen frühzeitig den Handlungsbedarf und werden vor dem «Betrieblichen Eingliederungsmanagement» (BEM) tätig.
Die ersten TÜV zertifizierten betr. Reha-Berater nahmen Ende 2019 die Tätigkeiten in den Betrieben auf und ziehen nach eineinhalb Jahren Bilanz.
Norma Sachse, Referentin der IG Metall, bietet die Modulreihe „Ausbildung zum/zur betrieblichen Reha-Berater/in“ im Bildungszentrum Sprockhövel an. Sie sprach mit Hermann Alex Ganster und Lorenz Herz von der saarländischen Dillinger Hütte über die Akzeptanz und die Wichtigkeit eines betr. Reha-Beraters in ihrem Unternehmen.

Ein überzeugendes Interview mit klaren Tatsachen:

Alex und Lorenz unterwegs als betriebliche Reha-Berater


Wie lange seid ihr schon bei der Dillinger Hütte beschäftigt?
Alex:
Angefangen habe ich Mitte 1981 als Kranführer, danach wurde ich in meinem Beruf als Industriemechaniker bei der Instandhaltung eingesetzt. Jetzt bin ich schon 40 Jahre bei der Dillinger Hütte beschäftigt.
Lorenz:
1987 habe ich bei der Dillinger Hütte die Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker für den Fachbereich Metall- / und Schiffsbautechnik absolviert und erfolgreich abgeschlossen. Seit dieser Zeit arbeite ich bei der Brammenadjustage.
• In welchen Ehrenämtern seid ihr im Betrieb tätig und wie lange führt ihr euer Amt schon aus?
Alex:
Seit Dezember 2017 bin ich freigestellter SBV und betr. Reha-Berater. Als Vertrauensmann bin ich über 30 Jahre bei der IGM – Ansprechpartner. Mit einer Unterbrechung darf ich seit 20 Jahren die VK-Leitung übernehmen.

Lorenz:
Zuerst war ich Ersatzmitglied im BR, sowie seit 1989 Vertrauensmann.
Im Jahr 2010 wurde ich zusätzlich als SBV gewählt. Um diesem Amt gerecht zu werden, legte ich 2018 alle anderen Ämter nieder und bin jetzt freigestellter SBV und betr. Reha-Berater.


Was waren die ersten Schritte, die ihr nach der IG Metall-Ausbildung zum betr. Reha-Berater in eurem Betrieb umgesetzt habt?
Sofort nach der Ausbildung haben wir mit einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit für den betr. Reha-Berater begonnen. Wir haben die Kolleginnen und Kollegen direkt angesprochen und ihnen unsere Unterstützung angeboten. Des Weiteren haben wir durch ein Interview in der Betriebszeitung auf uns aufmerksam gemacht und haben so der Belegschaft die Tätigkeitsfelder eines betr. Reha-Beraters nähergebracht.
Wir harmonieren als SBV-Team schon sehr gut und mussten uns für die Zukunft ein Konzept erstellen, wann, wer von uns welche Aufgaben übernimmt und welche Tätigkeiten wir anfangs priorisieren wollen.
Wichtig war uns auch, dass wir die Akzeptanz und das Verständnis der internen Partner schnellstens für uns gewinnen, denn nur so können wir der Kollegin oder dem Kollegen effektiv helfen. So nach dem Motto: «Nur gemeinsam sind wir stark!»
Wir müssen auch ehrlich sagen: Am Anfang war es ein Kampf und es hat schon ein paar Monate gekostet, bis alle Beteiligten verstanden haben, dass wir keinem internen Partner etwas wegnehmen wollen. Ganz im Gegenteil, wir unterstützen und wollten als eine Einheit mit allen internen Unternehmenspartnern bei der Belegschaft auftreten.


Wie habt ihr eure Tätigkeit als betr. Reha-Berater im Unternehmen bekannt gemacht und wer hat euch dabei unterstützt?
Wie schon gesagt, haben wir an allen Stellen verstärkte Öffentlichkeitsarbeit betrieben.
Gut angekommen ist auch die Vorstellung des Tätigkeitsbereichs eines betr. Reha-Berater in der Betriebszeitung und dass wir diese Ausbildung mit TÜV Zertifizierung abgeschlossen haben.
Wir haben unzählige Gespräche mit den Verantwortlichen geführt und um Akzeptanz und Verständnis für die Notwendigkeit des betr. Reha-Beraters geworben.
Heute können wir sagen, es läuft gut. Alle Beteiligten geben alles, um Betroffene zu unterstützen und das Bestmöglichste herauszuholen.
Mittlerweile ist die Zusammenarbeit so gut, dass die Werksärzte, die Bereichsleiter, das BEM-Team oder Personalverantwortliche zu uns kommen und wir gemeinsam nach Lösungen suchen. Wir arbeiten alle auf Augenhöhe zusammen, was auch die Kolleginnen und Kollegen spüren.
Mit dem Betriebsrat haben wir als SBV schon immer gut zusammengearbeitet, was wir durch die Ausbildung zum betr. Reha-Berater noch vertieft haben.


Welche Empfehlung würdet ihr anderen Kolleginnen und Kollegen in Bezug auf den betr. Reha-Berater geben?
Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, anderen Menschen zu helfen. Wir versuchen ihren Arbeitsplatz zu erhalten, ihnen Zuversicht zu geben, sie bei allen sozialen Themen zu unterstützen, ihnen Perspektiven aufzuzeigen und ihnen so Halt zu verschaffen.
Wir würden den betr. Reha-Berater jedem empfehlen und ihn jederzeit wieder machen. Es ist eine «Win-win-Situation» für alle Beteiligten.


Die IG Metall-Ausbildung zum betr. Reha-Berater ist nicht mit einem Ehrenamt gekoppelt, d. h. jeder kann diese Ausbildung absolvieren. Welche Eigenschaften sollten bei der Person vorhanden sein?
Natürlich braucht man Empathie, Verständnis, Durchsetzungsvermögen, Überzeugungsfähigkeit, Beharrlichkeit und man muss «zuhören» können.
Das sind eindeutige Voraussetzung für die Arbeit als SBV und als betr. Reha-Berater.
Unerlässlich ist auch eine gute Kommunikationsfähigkeit – ohne diese geht es nicht.
Man muss sich dessen bewusst sein, dass dieses Amt viel Arbeit und unendlich viel Zeit für Gespräche mit Betroffenen, Angehörigen, Ärzten, Behörden und internen-/ wie externen Partnern einnimmt.


Ihr seid beide freigestellte SBV’er. Wie ist euer zeitliches Arrangement für den betr. Reha-Berater und lässt sich beides gut vereinbaren?
Die SBV und auch der betr. Reha-Berater sind mit einem großen Zeitaufwand verbunden und als Teilzeittätigkeit nur schwer umsetzbar.
Infogespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern lassen sich zeitlich nicht planen. Dazu gehören manchmal Gespräche mit deren Partner oder Ehepartner sowie Fallgespräche bei den Betroffenen zu Hause. Als Beispiel stellt sich die Frage bei einer geplanten Reha Maßnahme, wer die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen übernimmt. Das muss abgesprochen werden und gehört auch zu einer betr. Reha-Berater-Rundumbetreuung. Hier unterstützen und beraten wir mit den gesetzlichen Möglichkeiten.


Die IG Metall-Ausbildung zum betr. Reha-Berater setzt sich mit spezialisiertem Wissen aus allen Bereichen zusammen. Was wendet ihr aus der betr. Reha-Berater-Ausbildung am häufigsten an?
Das lässt sich schwer sagen. Es kommt auf die Fälle und auf die Größe des Unternehmens an. Die Tätigkeiten der SBV und des betr. Reha-Beraters ergänzen sich und lassen sich schwer abgrenzen.
Alex:
Kommunikation und das Beherrschen der Gesprächstechniken ist superwichtig!
Lorenz:
Ohne gekonnte Kommunikation geht es nicht. Des Weiteren braucht man das Wissen, welche Möglichkeiten uns die einzelnen Reha Träger z. B. Krankenkassen, Rentenversicherung, Berufsgenossenschaft, Integrationsamt etc. bieten.
Ohne diese Kenntnisse ist die Arbeit nicht zu stemmen.
Pro Woche haben wir durchschnittlich drei neue Reha-Anträge, was durch die Fallberatung, Beschaffung der Arztunterlagen oder auch der Begleitung zum Arzt ergänzt wird.
Viele betroffen haben Hemmungen, den Arzt auf die nötigen Informationen anzusprechen, was den zeitlichen Ablauf des Reha-Antrags erheblich verzögert. Hierbei lassen wir den Betroffenen nicht allein und klären direkt im Arztgespräch, was noch benötigt wird oder zeigen dem Arzt die gesetzlichen Möglichkeiten auf.
Viele Ärzte nehmen diesen Input dankend an, denn manchmal haben betroffene kommunikative Probleme, um dem Arzt die Notwendigkeit der Reha zu erklären.


Gibt es etwas, dass ihr euch von den internen Partnern im Unternehmen wünscht?
Nun ja, auch bei uns läuft nicht alles rund. Die Zusammenarbeit mit der Arbeitssicherheit ist noch ausbaufähig. Uns liegen besonders die psychischen Gefährdungsanalysen am Herzen, die noch nicht auf die nötige Akzeptanz gestoßen sind.


Was macht die Position des betr. Reha-Beraters mit euch persönlich?
Alex:
Die Menschen sind allein, wenn keine Hilfe geleistet wird. Kurz gesagt: Es kümmert sich keiner, wenn wir es nicht tun.
Es macht mich zufrieden und ich nehme mit großer Freude wahr, wenn es meinen Kolleginnen und Kollegen besser geht.
Lorenz:
Da stimme ich Alex zu. Bei mir löst es eine tiefe innere Zufriedenheit und ein bisschen stolz aus, anderen Menschen zu helfen.


Gibt es eine Erfahrung, die euch als betr. Reha-Berater /SBV nachhaltig verändert hat?
Alex:
Die Kehrseite der Medaille ist, wenn Menschen unser Wissen aus «mangender Einsicht» nicht annehmen wollen oder können, das macht mich traurig. Wir haben alle nur ein Leben und das kann schnell zu Ende sein.
Lorenz:
Wenn Betroffene keine Hilfe annehmen wollen z. B. bei Suchtproblemen. In einem persönlichen Gespräch sprechen wir die Suchtprobleme offen mit dem Betroffenen an.


Wie viele Reha-Anträge macht ihr durchschnittlich? Sind es mehr berufliche oder medizinische Reha-Anträge?
Durchschnittlich betreuen wir sechs Reha-Anträge pro Woche.
Davon sind es ca. fünf medizinische Anträge und ein beruflicher Antrag. So ist ungefähr das Verhältnis.


Wie ist die Akzeptanz des betr. Reha-Beraters bei den externen Partnern und mit welchen arbeitet ihr häufig zusammen?
Wir arbeiten mit allen externen Partnern sehr gut zusammen.
Leider lässt die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen zu wünschen übrig.


Hat sich das Verhältnis zum Arbeitgeber geändert und wie hat sich das bemerkbar gemacht?
Ein klares Ja!

Die Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber hat sich durch den Status des betr. Reha-Beraters deutlich verbessert. Wir sprechen gemeinsam ab, wer was bis wann macht und auch die Kommunikation hat sich deutlich verbessert. Bedingt durch unser zusätzliches Know-how vermuten wir eine höhere Akzeptanz. Früher mussten wir uns für alles Rechtfertigen und es wurde alles hinterfragt. Heute sind wir ein Team und haben den Betroffenen im Fokus.


Die Prävention ist der wichtigste Tätigkeitsbereich des betr. Reha-Beraters und sollte weit vor einer BEM-Maßnahme durchgeführt werden.
Dies ist eine Win-win-Situation für alle Beteiligten: Der Arbeitgeber spart die BEM Kosten, er hält sich an das Gesetz und dem Kollegen/Kollegin ist frühzeitig geholfen, bevor es zu schweren Erkrankungen kommt. Welche Erfahrungen habt ihr dazu sammeln können?
Unsere BEM-Fälle werden weniger, da der betr. Reha-Berater, bevor es zu einem BEM-Fall kommt, tätig wird, was deutlich eine Kostenminimierung darstellt. Des Weiteren gehen die Ausfallzeiten zurück.
Durch Arbeitsplatzbeschreibungen und Gefährdungsanalysen haben wir als betr. Reha-Berater dafür gesorgt, dass die Arbeitsplätze mit entsprechenden Stühlen versehen werden.
Dieses gehört mittlerweile zum Standard bei der Dillinger Hütte und ist eine hervorragende Präventionsmaßnahme. Für diese Umsetzung haben wir die Berufsgenossenschaft als externen Partner um Unterstützung gebeten.


Gab es einen Fall, wo ihr durch euren Einsatz als betr. Reha-Berater dem Arbeitgeber erhebliche Kosten erspart habt und der Kollegin oder dem Kollegen den Arbeitsplatz sichern konntet?
Ja, z. B. die Sitze der Kranfahrer waren schlecht.
Hier kam es durch permanente Wirbelsäulenschäden der Kollegen zu häufigen Ausfallzeiten. Mit Unterstützung des Betriebsrats haben wir jetzt individuell verstellbare Sitze angeschafft und nun sind die Ausfallzeiten erheblich zurückgegangen.


Was sagt ihr Arbeitgebern, die eine IG Metall-Ausbildung zum betr. Reha-Berater ablehnen?
Eine Ablehnung ist zu kurz gedacht und dafür fehlt uns das Verständnis.
Kurz gesagt: „Diese Arbeitgeber sind nicht «präventiv» und verursachen sich selbst einen Haufen Kosten.“
Lassen wir mal die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für Leben und Gesundheit außen vor.


Betriebliche Reha-Berater haben immer die Prävention und das Wohl der Belegschaft im Fokus. Sie zeigen frühzeitig auf, wo Ausfallzeiten minimiert werden können, sodass es nicht zu langen AU-Zeiten kommt (jeder AU-Tag kostet den Arbeitgeber eine Menge Geld).
Betriebliche Reha-Berater wissen, welcher Reha Träger einen Arbeitsplatzumbau subventioniert, sodass er sich auch nach Jahren noch amortisiert.
• Betriebliche Reha-Berater empfehlen bei drohender Erkrankung schon frühzeitig eine medizinische Reha und begleiten den Betroffenen, solange dieses gewünscht wird, sodass es im besten Fall erst gar nicht zu Langzeiterkrankungen kommt.
• Betriebliche Reha-Berater minimieren die BEM-Fälle, da sie präventiv tätig sind. Die Manpower im BEM verursacht hohe Kosten für den Arbeitgeber, die durch frühzeitiges Handeln des betr. Reha-Beraters erst gar nicht entstehen.
• Betriebliche Reha-Berater können sogar krankheitsbedingte Kündigungen minimieren.
Ein Tipp von uns: “Die Kosten der betr. Reha-Berater-Ausbildung stehen wohl in keinem Verhältnis zu den eingesparten Kosten!“


• Würdet ihr die IG Metall-Ausbildung zum betr. Reha-Berater jederzeit wieder machen?

Alex:
Ja, sofort – auf jeden Fall!
Die Möglichkeiten und die Unterstützung, die Betroffene, Arbeitgeber oder auch Interessenvertretungen haben, wurden mir bei der IG Metall-Ausbildung erst mal bewusst.
Lorenz:
Mit dem Wissen von heute sofort noch mal!
Ich kann das nur jedem ans Herz legen, dass er diese IG Metall-Ausbildung machen soll. Es erleichtert die Arbeit von Interessenvertretungen ungemein.
Vielen Dank für das Interview.