Aufbruch nach dem Zusammenbruch

„Schneller arbeiten, einsamer, mehr und unter immer größerem Druck, das kennen wir doch alle!“, eröffnet Eva-Maria Böttcher, längjährig Referentin in Sprockhövel mit aufmunterndem Lächeln ihre Veranstaltung zum Thema „Burnout“. Und fast alle Anwesenden nicken zustimmend und lassen sich – trotz später Stunde – noch auf eine rege und gemeinsame Debatte ein.

Das monatlich einmal stattfindende Angebot wird – trotz langer Seminartage und abendlicher Freizeitalternativen im Haus – sehr gerne und zahlreich in Anspruch genommen. Ihr Thema: Der Vormarsch psychischer Belastungen am Arbeitsplatz – Ursachen, Folgen und Warnsignale. Bis zu 45 Personen versammelt Eva-Maria bei ihrer Veranstaltung, um „dazu mal ein offenes und ehrliches Wort unter Kolleginnen und Kollegen“ zu wechseln.  Wir nutzten die letzte Veranstaltung für ein kleines Interview mit ihr:

Eva-Maria, sind in der Arbeitswelt immer mehr ‚Heulsusen und Weicheier‘ am Start? Oder wie erklärst Du Dir, das große Interesse an dem Thema?

‚Burnout* – ist eigentlich nur ein umschreibende Wort für eine handfeste Depression. Und tatsächlich sind davon immer mehr Menschen betroffen: Laut aktueller Zahlen z.B. aus der WELT vom 9.12.2014 ist heute tatsächlich schon fast jede zweite Frühverrentung auf psychische Erkrankungen zurückzuführen. Kein Wunder, denn in der Arbeitswelt nimmt der Druck immer weiter zu.

Auch unsere Seminare im Handlungsfeld Arbeits- und Gesundheitsschutz
sind sehr stark nachgefragt!

Viele, auch viele junge Menschen haben große Ängste: den hohen Erwartungen nicht dauerhaft gerecht zu werden, immer enger getaktete Leistungserwartungen erfüllen zu müssen, die erreichte Position ohne extreme Leistungsbereitschaft auch schnell zu verlieren oder Arbeits- und Privatleben ausgewogen in Balance zu halten. „Stress“ und Fremdbetimmung wachsen! Sinn und Perspektive werden angeweifelt. Und oft fehlt es in der Arbeitswelt an Anerkennung, Wertschätzung und (Selbst-) Vertrauen. Viele können weder offen mit Vorgesetzten oder eigenen Kolleginnen und Kollegen reden. Und noch mehr werden sich der eigenen Krise selbst nur langsam bewusst.

Die Zunahme psychischer Erkrankungen ist also kein Phänomen der „Ego-Gesellschaft“ – in der sich verstärkt alles um den eigenen Bauchnabel dreht?

Schon die Frage ist Quatsch. Nur wer sich wohl in seiner Haut fühlt, kann auf Dauer gute Leistung bringen, Lebensfreude haben und sich solidarisch und empathisch um das Wohl Anderer kümmern. Wer ‚ausgebrannt‘ und leer ist, kann auch nichts mehr geben oder bringen. Und oft erwischt es dabei leider besonders heftig, gerade besonders perfektionistische, engagierte und ursprünglich sehr leistungsorientierte Leute. Und das hat eben Gründe!

Okay! Wer ist denn besonders gefährdet?

Das Thema zieht sich durch alle sozialen Schichten und Berufsgruppen: besonder gefährdet scheinen dabei gerade sogenannte Wissensarbeiter/-innen, Angestellte in Führungspositionen, Menschen in sozialen Berufen oder auch Schichtarbeitende. Die Zahlen sind wirklich alamierend – gerade in den Betrieben, wo Zeitdruck, Konkurrenz und Verantwortlichkeiten besonders hoch sind bzw. sich krisenbedingt plötzlich verstärken. Wie man erst heute im Handelblatt nachlesen konnte, diagnotizierte zum Beispiel der Betriebsrat der Europäische Zentralbank, dass bereits ein Drittel der EZB-Belegschaft von ‚Burnout‘ betroffen war/ist oder zumindest davon ernsthaft bedroht ist. Wir dürfen davon ausgehen, dass solche Zahlen valide ermittelt und keine Ausnahme sind. Auch Analysen in vielen unserer IG Metall-Betriebe bestätigen das Bild. Umso wichtiger: betriebliche Frühwarnsysteme und eine neue Sensibilität für das Thema. Und daran arbeiten wir als IG Metall systematisch.

Was sind denn die Warnsignale?
Kommt so ein Zusammenbruch nicht sehr plötzlich?

Der körperliche Kollaps kann scheinbar unerwartet kommen. Dann geht erst einmal garnichts mehr. Aber alle, die es selbt erlebt haben wissen, dass es eindeutige Signale gibt – und das oft über Jahre hinweg. Anhaltende Selbstüberforderung macht sich allerdings auch individuell völlig unterschiedlich bemerkbar: Viele klagen über stetige Schlaflosigkeit, zunehmende Konzentrationsprobleme oder psychosomatische Symptome: z.B. Kopfschmerz, Hautprobleme oder anhaltende Verspannungen. Andere fühlen sich emotional immer weniger belastbar: reagieren mit Agression, Selbsthass, Weinkrämpfen oder sozialem Rückzug. Typisch ist auch ein verstärktes Hadern, selbst mit einfachen Entscheidungen im Alltag. Und: man braucht eben plötzlich viel länger für ein Arbeitspensum, dass man vordem ‚mit links‘ geschafft hat. Alles wird zur puren Anstrengung …

Aber das kennen wir doch alle mal?

Ja! Aber wenn diese Sympome sich häufen, verstärken oder anhalten bzw. sie systematisch verdrängt und ignoriert werden, dann heißt es aufgepasst! Besonders gefährdet sind dabei übrigens Menschen, die selbst mit niemandem offen reden können oder über die plötzlich nur noch schlecht geredet wird. Leider ist das sehr häufig der Fall. Und gerade hier haben haben Personalverantwortliche und auch Betriebsräte eine besondere Verantwortung. Es lohnt geanauer hnzuschauen…

Wie haben wir das zu verstehen?

Menschen sind verschieden. Und unterschiedlich belastbar. Sie haben temporär, aber eben auch strukturell oder krankheitsbedingt, alle ein unterschiediches Tempo, verschiedene Stärken und Mentalitäten. Ein gutes Team gleicht das aus. Und eine gute Teamleitung macht es sich sogar zunutze: dahinter stecken ja oft unterschiedliche Qualitäten. Wird aber ein Mensch als ’nicht effizient‘ bewertet, erlebt man gar selbst die eigene Leistung nicht mehr als optimal oder fällt immer öfters aus, dann steigert das den realen oder empfundenen Druck: Anerkennung von außen bleibt zunehmend aus, der Selbstwert sinkt und Konflikte nehmen zu. Gerade dann, wenn ein ganze Team unter verschärftemLeistungsdruck steht, werden Gefährdete häufig sogar zum Sündenbock oder ‚Mobbing-Opfer‘. Denn: Sie zeigen Schwächen und bieten sich sozusagen als offene Projektionsfläche für die Ängste und Nöte aller an. So verstärkt sich die eigene Belastungsituation und Isolation noch weiter. Leistungsverlust wird als bedrohlich erlebt, Kritik und Konflikte werden als persönliche Zurückweisung gewertet und die eigene Situation scheint immer auswegloser … 

Aber ist das nicht eher ein Thema für (Betriebs-)Psychologen als für betriebliche Interessensvertretungen und Gewerkschaften?

Es ist erst einmal ein Thema für jeden Einzelnen von uns! Wie gehe ich selbst mit mir und meinen Grenzen um? Wie achtsam bin ich mit mir selbst und Anderen? Woher kommt (ungebremste) Leistungsbereitschaft? Wie gehe ich mit Wünschen, Ängsten und steigendem Arbeitspensum um? Kann und will ich auch einfach mal Nein sagen? Und zu was und wem, sage ich/sagen wir ‚Ja‘? Was bringt Lebensfreude? Wie entsteht Motivation? Was ist gute Arbeit und welche Arbeit macht krank? Spätestens hier wird das Ganze natürlich zu einem sehr, sehr politischem Gewerkschaftsthema in den Betrieben. Hier geht es einerseits um Hilfe zur Selbsthilfe – da fragt sich oft wie! Und andererseits umd rechtzeitige Präention und echte Alternativen zu dem, was Viele einfach krank macht.

Du weißt wovon Du redest!
Ich finde, dass merkt man Deinen Veranstaltungen auch deutlich an!

Ich war selbst vor Jahren von ‚burnout‘ betroffen. Und weiß deshalb nur zu gut, was das bedeutet. Es war ein leidvoller und langer Weg, da wieder raus zu finden. Aber heute sage ich auch, das war damals das Beste, was mir noch passieren konnte. Für mich persönlich war es die Chance, endlich den Weg zu mir selbst zu finden: Es eben nicht immer nur allen Anderen recht zu machen. Zu mir selbst zu stehen und zu schauen, was und wer mir gut tut. Erst nach dem Zusammenbruch kam mein Aufbruch!

Ich bin mittlerweile sozusagen ‚Expertin in eigener Sache‘ geworden. Ich war ja lange Jahre Bildungsreferentin der IG Metall. So lag es nahe, mein Wissen zu vertiefen und meine Erfahrungen auch mit anderen zu teilen. Die Resonanz der Kolleginnen und Kollegen auf das Thema, die kollegiale und ehrliche Art mit der wir hier im Bildungszentrum gemeinsam reden können, das macht mich zuversichtlich. Ein ursprüngliches Tabu-Thema wird heute offenherziger und in den Betrieben _ nicht immer aber öfters – eben auch rechtzeitig und gemeinsam angegangen. 

Danke, Eva-Maria Böttcher für das Gespräch.

Die Termine für diese regelmäßige Abendtermine finden sich – quartalsweise aktalisiert – in unserer Rubrik »Kultur- und Veranstaltungstermine. Vertiefende Seminartermine zu dem Themenfeld finden sich im »Bildungsprogramm 2015 sowie unserem »Seminarfinder.

MG