„Jetzt erst recht! Spurensuche für eine menschliche Gesellschaft in Corona-Zeiten“ war der Titel unseres diesjährigen Neujahrsforums – zeitgemäß digital und in Spitzenzeiten von 80 Kolleg*innen besucht. Es markierte zugleich den Auftakt unseres Jubiläumsjahres „50 Jahre Bildung in Sprockhövel“.

In seiner Begrüßung erinnerte der Schulleiter Richard Rohnert an die Tradition des Bildungszentrums, das Neujahrsforum als Ort der politischen Debatte zu nutzen, und ebenso daran, dass diese Pandemie auch Ausdruck und Ergebnis der Naturvergessenheit unserer Lebens- und Wirtschaftsweise ist. „Die Pandemie ist ein ökologisches Problem. Sie ist das Ergebnis von Kommerzialisierung und Enteignung“ und damit Ausfluss unseres auf unbedingtes Wachstum und Akkumulation setzendes Wirtschaftssystems. Dieser Raubbau habe sich nun gerächt und stelle viele Aspekte unserer bisherigen Art zu Leben und zu arbeiten in Frage. Nun gelte es, diesen Entwicklungen entgegen zu treten und Veränderungen anzustoßen.

Nach einem historischen Rückblick auf vorherige Pandemien von Chaja BoebeI, warfen die folgenden Referent*innen einen jeweils spezifischen Blick auf die aktuelle Situation.

Klar wurde: der Brennglas-Effekt der Pandemie hat bestehende und oft nicht thematisierte Probleme in den Fokus der gesellschaftlichen und politischen Debatte gerückt. Plötzlich sind z.B. systemrelevante Berufsfelder und die Notwendigkeit einer sozialen Daseinsvorsorge sichtbar geworden und zugleich damit auch die oft prekären und schlechten Arbeitsverhältnisse. Eindrücklich zeigten die Forscher*innen Samir Khalil und Almuth Lietz vom DeZIM in diesem Zusammenhang die besondere Betroffenheit von Migrant*innen in solchen prekären Beschäftigungsverhältnissen. Zusammen mit den Herausforderungen anstehender betrieblicher Transformationsprozesse droht die Zuspitzung bereits bestehender sozialer Schieflagen, Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung und die zunehmende Polarisierung von Reichtum und Armut.

Herausgehoben wurde in den folgenden Gesprächen, dass sich in der Pandemiekrise zugleich aber auch neue Diskussions- und Möglichkeitsräume aufgetan haben, vielfältige solidarische Praxen erfahrbar und bisherige neoliberale Dogmen fallengelassen wurden – so Alex Demirović. Ein Zurück zur vorherigen „Normalität“ dürfe es nicht geben, neue/andere politische Weichenstellungen sollten umgesetzt werden. Dafür gelte es, politische Mehrheiten zu organisieren. Auch Dierk Hirschel plädierte für Bündnisse von Gewerkschaften und sozialen Widerstandsbewegungen und eine sozial-ökologische Kurskorrektur. Es brauche mehr Investitionen in die soziale Daseinsvorsorge, Umverteilungspolitik und ein soziales und friedliches Europa. Seiner Meinung nach brauche es heute echte und starke „Dompteure des Kapitalismus“. Deshalb sollten die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen dringend den sozialen und ökologischen Anliegen eine politische Stimme geben. Ulrich Brand entfaltete, dass die Verwirklichung einer solidarischen Gesellschaft sowohl individuelle Konsum- und Verhaltensänderungen brauche, zugleich aber auch entsprechende politische Rahmensetzungen, um unsere „imperialen Lebensweise“ zu beenden. Einer Lebens- und Arbeitsweise, die im Ergebnis globale Ausbeutungsverhältnisse manifestiert und naturvergessen eine nachhaltige und menschliche Entwicklung verhindert. Er sieht hier eine besondere Aufgabe von politischer Bildungsarbeit. Sie könne, so Brand, einen „anderen Blick auf die Welt und die Zusammenhänge ermöglichen, strukturellen Fehlentwicklungen dieses Systems aufdecken und mit Einstiegsprojekten für eine solidarische gesellschaftliche Perspektive bekannt machen. „Wir müssen darum ringen, die soziale und ökologische Frage nicht getrennt voneinander zu behandeln.“

Mit Charlotte Hitzfelder vom Konzeptwerk Neue Ökonomie gingen alle Teilnehmenden auf eine Zeitreise. „Zukunft für alle – eine Vision für 2048“ ist ein Projekt, in dem über 200 Vordenker*innen konkrete Utopien und Zwischenschritte für eine lebenswerte solidarische Zukunft gemeinsam erarbeiteten. Klar wurde den Teilnehmenden des Neujahrsforums, dass nicht immer alle Ideen begeistern. Doch zweifellos war auch, dass Visionen – also eigene Vorstellungen einer anderen Zukunft – auch für das gewerkschaftliche Handeln und „einen langen Atem“ wichtig sind. Denn: „Wer keinen Mut zum Träumen hat, hat keine Kraft zu kämpfen!“ – so ein „altes Motto“ der IG Metall Jugend.

Fazit: Pandemien haben Risiken und Chancen. Hoffnung macht, dass Alternativen möglich und machbar sind, wenn wir sie denn wollen. Und das es in der IG Metall (digitale) Diskussionsräume gibt, diese zu diskutieren!

Unter dem Motto „Lust auf Streit?!“ werden wir in diesem Jubiläumsjahr und darüber hinaus solche Ideen und Ansätze für eine menschliche Zukunft weiter diskutieren.

Wir wollen euch hier einige der Vorträge nicht vorenthalten:

Dies und mehr haben wir für alle Teilnehmenden des Neujahrsforums auf unserer digitalen Lernplattform dokumentiert.